Was sich kusst das liebt sich
hinterher die Hände wusch. Neve betrachtete ihr Spiegelbild, und ihr gefiel, was sie sah: Sie hatte Kulleraugen und gerötete Lippen, und ihr Gesicht glühte, wie immer nach dem Knutschen, sodass die Pickel nicht mehr so auffielen. Als sie die Tür öffnete, hörte sie Max in der Küche rumoren. Sie wollte ihn gerade mit ihrer verführerischsten Stimme auffordern, sie ins Schlafzimmer zu begleiten, da rief er: » Was zum Teufel…?«
Sie eilte in die Küche und sah, dass er vor dem geöffneten Kühlschrank stand und eine leere Flasche in der Hand hielt.
» Max?«, sagte sie unsicher.
» Was zum Teufel ist das?«, sagte er erneut, zum Kühlschrank gewandt. Dann drehte er sich zu ihr um und schwenkte das Drahtgestell mit den drei Flaschen, die sie sich morgen reinziehen sollte. » Was hast du mit diesem Mist vor?«
» Ich mache eine Entschlackungskur, deshalb habe ich auch so viele Pickel«, erklärte sie. » Der Körper kann die Giftstoffe, die sich in ihm ansammeln, nicht alle von alleine abbauen, und das raubt ihm Energie und…«
» Du tust das doch nur um abzunehmen, stimmt’s?«
Überraschte ihn das etwa? » Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass es mein Ziel ist, in Kleidergröße38 zu passen.«
Max zuckte die Achseln, aber seine Schultern waren so angespannt, dass es eher aussah wie ein spastischer Anfall. » Warum hast du nicht einfach weiter dein Fitnessprogramm durchgezogen?«
» Weil es zu lang gedauert hat.«
» So, so. Dir läuft die Zeit davon. Kaum hat Mr California ein konkretes Rückreisedatum genannt, beginnst du eine dubiose Saftdiät. So ein Zufall aber auch.« Er schnaubte. Wie konnte er halb nackt und noch halb erigiert vor ihr stehen und ihr die Hölle heißmachen? Wenn sie wenigstens beide angezogen wären! Wenn sie schon über ihren Körper reden musste, dann wollte sie ihn dabei nicht auch noch zur Schau stellen.
» Ich habe fünf Pfund zugenommen, während wir zusammen waren.« Es klang wie ein Vorwurf, auch wenn es nicht so gemeint war. » Ich bin nicht wie andere Mädchen. Ich nehme nicht mal eben ein paar Kilo ab, indem ich auf Chips und Süßigkeiten verzichte. Ich muss hart dafür arbeiten.«
Sie betrat die Küche– leicht vornübergebeugt, um Bauch und Oberschenkel hinter dem Blusenzipfel zu verbergen– und schnappte sich ihre Jeans.
» Das ist kein Grund, sich diese Scheiße hinter die Binde zu kippen!« Max schüttelte das Drahtgestell, sodass die drei Flaschen kirrten und Neve die Luft anhielt, denn selbst mit 50Prozent Ermäßigung kosteten sie immer noch 15Pfund das Stück.
» Stell sie bitte hin, ja? Und zwar vorsichtig«, bat sie ihn, während sie in ihre Jeans schlüpfte. » Und würdest du dich bitte umdrehen, während ich mich anziehe?«
Max knallte die Flaschen so fest auf den Tisch, dass sie hüpften, und als Neve einen Laut des Protests von sich gab, explodierte er. » Untersteh dich, diese Scheiße zu trinken!«, tobte er. » In New York sind zwei Leute an dieser Kur gestorben!« Er war krebsrot angelaufen und so wütend, dass es Neve nicht überrascht hätte, wenn wie in einem Zeichentrickfilm zwei Dampfschwaden aus seinen Ohren gekommen wären.
» Wahrscheinlich hatten sie davor schon gesundheitliche Probleme«, brummte Neve.
» Was zum Teufel ist bloß los mit dir?«, brüllte Max. » Mal ganz ehrlich, was soll denn schon groß anders sein, wenn du endlich in Kleidergröße38 passt?«
Neve antwortete nicht gleich, sondern knöpfte erst einmal ihre Jeans zu, um zu überlegen, dabei lag die Antwort eigentlich auf der Hand. » Ich werde anders sein. Glücklicher. Normal.«
» Du bist echt der intelligenteste und zugleich der dümmste Mensch, den ich kenne«, fauchte er und zog seine Jeans an. » Was soll denn bis dorthin so Tolles passieren, dass du dann anders und glücklicher und normaler bist als jetzt?«
» Ich werde anders sein«, beharrte Neve, als müsste sie es nur nachdrücklich genug sagen, damit es sich bewahrheitete. » Du willst doch nur, dass ich fett bleibe, weil du es nicht aushalten würdest, mit jemandem zusammenzusein, der dünn und hübsch genug ist, um Forderungen an dich zu stellen.«
» Das ist doch totaler Schwachsinn.«
» Schwachsinn ist viel eher, dass du mich verurteilst, wo du doch selbst alles andere als perfekt bist«, kreischte Neve so schrill, dass es ihr im Hals kratzte. » Du erzählst dieser Therapeutin etwas von Bindungsängsten, dabei besteht dein einziges Problem darin, dass du den unkontrollierbaren
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