Was sich kusst das liebt sich
ein und hörte ihre Nachrichten ab, während sie ihren Frühstückssaft trank. Celia hatte im Archiv angerufen und behauptet, Neve hätte eine Sommergrippe ( » weil die Tatsache, dass man an einem gebrochenen Herzen leidet, keiner gelten lässt«), und Mr Freemont hatte mehrfach angerufen, um sich verdrossen zu erkundigen, wann sie denn endlich wieder aufzutauchen gedachte. Neve hätte eigentlich gerührt sein müssen, weil sich auch Rose, Chloe und Philip gemeldet hatten, aber ihr Herz war zu derlei Gefühlsregungen gerade nicht fähig. Der einzige Hoffnungsschimmer in dieser düsteren, post-apokalyptischen Lage war die Tatsache, dass William angerufen hatte.
Sie befingerte einen besonders schmerzhaften Pickel am Kinn, während sie seiner fröhlichen Nachricht lauschte. » Neve? Hier ist William. Ich bin wieder da und möchte dich möglichst bald sehen. Es gibt Neuigkeiten, die ich dir unbedingt mitteilen muss. Ich kann’s kaum erwarten. Ruf mich an.«
Mit leicht zitternden Händen griff sie nach ihrem Handy, ehe sie dazu kam, sich die Konsequenzen ihres kühnen Verhaltens zu überlegen. So konnte es nicht weitergehen, und im Augenblick fiel ihr keine andere Strategie ein, als William schleunigst wieder in ihr Leben zu integrieren.
Sie hatte noch nicht einmal Hallo gesagt, da tönte schon ein » Ah, die schwer erreichbare Miss Slater!« aus der Leitung. » Wo hast du gesteckt? Ich habe dich am Sonntag angerufen, und heute ist Donnerstag. Selbst in LA gilt die Regel, dass man innerhalb von drei Tagen zurückruft.«
» Ich war krank. Sommergrippe«, erklärte Neve mit Reibeisenstimme.
» Oje, du Arme. Du klingst auch total heiser. Geht’s dir schon besser?«
Körperlich gesehen durchaus; emotional hatte sie das Gefühl, dass sie die nächste kräftige Windböe umwerfen könnte. » Ja, ich glaube, ich kann mich allmählich wieder vor die Tür wagen.«
» Wird auch Zeit; am Wochenende verlasse ich die Stadt.«
» Oh.« Neve verdrehte verzweifelt die Augen. Nicht schon wieder. » Wann kommst du diesmal zurück?«
» Nein, ich muss dich unbedingt sehen, bevor ich wegfahre«, sagte er nachdrücklich. » Wie wär’s morgen Abend?«
Neve betrachtete ihre unrasierten Beine, tippte ihren von Frotteestoff bedeckten Bauch an, fuhr sich mit den Fingern über das pickelige Gesicht. Dann rief sie sich in Erinnerung, dass sie doppelt so dick gewesen war, als William sie zuletzt gesehen hatte. Verglichen damit musste doch alles besser sein. » Morgen? Freitagabend also?«
» Exakt.« William gluckste. » Wäre es zu viel verlangt, wenn wir uns südlich der Themse treffen? Ich weiß ja, wie ihr Nord-Londoner seid…«
» Naja, eigentlich ist das Südufer die Grenze.« Neve sah sich schon mit ihm in Embankment an der Promenade entlangspazieren. Hand in Hand natürlich, auch wenn es ihr erstes Date war.
» Du solltest mal wieder deinen Horizont etwas erweitern, Neve.« Er seufzte und gluckste erneut, als fände er ihre mangelnde Bereitschaft, sich nach Süd-London zu begeben, einfach bezaubernd. » Okay, also was hältst du davon, wenn wir uns um sieben oben in der Bar der Royal Festival Hall treffen? Sie ist im sechsten Stock, und der Ausblick ist absolut atemberaubend.«
» Gute Idee. Tja, dann… Bis morgen.«
» Ich kann’s kaum erwarten. Und ich habe zwei Überraschungen für dich, also wappne dich. Du wirst staunen.«
Er legte auf, und Neve blieb noch eine Weile benommen sitzen. Ihr Leben war im Begriff, eine völlig neue Wendung zu nehmen. Veränderungen waren gut. Das war genau das, was sie jetzt brauchte. William und sie waren füreinander bestimmt. Aber warum fühlte es sich dann so an, als bräuchte sie ihn, um über Max hinwegzukommen?
Sie stand auf, um sich umzuziehen und ein paar Runden durch den Finsbury Park zu joggen. Sie musste dringend ihr Gehirn auslüften. Doch als ihr Blick ihr Spiegelbild streifte, hätte sie vor Entsetzen beinahe laut aufgeschrien. Die Anzahl ihrer Pickel schien sich verdoppelt zu haben, während sie mit William telefoniert hatte, und sie waren noch lange nicht ihr größtes Problem.
Sie brauchte eine gründliche Generalsanierung. Sie brauchte eine gute Anti-Pickel-Creme und einen neuen Haarschnitt. Sie brauchte Celia, so dringend wie nie zuvor.
Bis zu diesem Tag hatte Neve die Fähigkeiten ihrer Schwester nicht so recht zu schätzen gewusst. Sie hatte nie verstanden, was Celia mit » Schultern sind die neuen Beine« meinte oder warum sie vierhundert Pfund für ein paar
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