Was sich kusst das liebt sich
Pound überhaupt getrennt von seinem Werk betrachten, oder ist beides untrennbar miteinander verknüpft?«
Neve hatte nicht den leisesten Schimmer, also lächelte sie unverbindlich, und William sprach weiter, was ihr ganz recht war, denn so konnte sie das Kinn in die Hand stützen und zusehen, wie sich seine wunderschönen Lippen bewegten, während er mit ihnen die Worte formte.
Er war so attraktiv… Und sie hatte immer noch das Gefühl, ihn nicht verdient zu haben. Aber wenn er sie anlächelte, so wie jetzt, als er seinen Monolog über Ezra Pound beendet hatte, dann war ihr, als wäre sie in Sonnenlicht getaucht.
Was auch an der riesigen Fensterfront liegen mochte, durch die man die Leute beobachten konnte, die unten am Flussufer entlangspazierten oder in einem der Ausflugsboote über die Themse tuckerten…
» Neve? Langweile ich dich?«
Sie zwang sich, mit ihrer Aufmerksamkeit zu William zurückzukehren. Worum ging es gerade? Sie hatte keine Ahnung. » Unsinn. Red nur weiter.«
Er runzelte die Stirn, als ahnte er, dass sie ihm schon eine ganze Weile nicht mehr zugehört hatte. » Also, wie gesagt, es bestehen beträchtliche Unterschiede zwischen dem akademischen Betrieb in Großbritannien und in Amerika, wobei ich mit Amerika die Westküste meine. Wie du weißt, habe ich in Amherst einen Vortrag über die Dichter der Romantik gehalten, der mit einer viel ausgeprägteren intellektuellen Strenge aufgenommen wurde.« Neve fiel auf, dass er seinen Kragen aufgestellt hatte und sich immer wieder mit der Zunge über die Unterlippe leckte.
Gott, vor ihm könnte ich mich niemals nackt ausziehen. Der Gedanke war unerwartet, wenn auch nicht neu. Allerdings war es normalerweise ein eher allgemeines Gott, ich könnte mich vor niemandem nackt ausziehen, nicht einmal vor einem Arzt.
Ich würde ihn aber auch nicht nackt sehen wollen. Das war neu, denn, wie ihr nun zum ersten Mal auffiel, sie hatte sich überhaupt noch nie vorgestellt, dass ihre nackten Leiber kollidierten oder sich aneinander rieben, wie das nun einmal der Fall sein sollte, wenn man mit der Liebe seines Lebens im Bett lag und… sich liebte.
Neve betrachtete William aufmerksam, und er strahlte sie an, da er nun wieder ihre volle, ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Er sah gut aus, war gut angezogen und unglaublich intelligent und– sie fühlte sich sexuell kein bisschen zu ihm hingezogen.
Sie rutschte nicht etwa unruhig auf ihrem Sessel herum, weil sie dieses Pulsieren tief in ihrem Inneren verspürte, sondern weil sie sich langweilte. Sie rief sich die langen Nachmittage in Oxford in Erinnerung, an denen sie stundenlang in seinem Wohnzimmer gesessen und sich unterhalten hatten. Damals war Neve hundertprozentig überzeugt gewesen, dass sie ihn liebte, aber jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Sie hatte sich nicht an ihm sattsehen können (daran hatte sich nichts geändert), und sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, weil er ihr seine Zeit und seine Aufmerksamkeit schenkte, aber sie hatte sich nie gewünscht, er möge sie auf den Teppich vor dem Kamin zerren (in dem das Feuer eher rauchte als loderte), ihr die Kleider vom Leib reißen und sie leidenschaftlich lieben.
War es etwa doch bloß eine jugendliche Schwärmerei gewesen? Unmöglich. Sie liebte ihn wirklich.
William hatte seine kritische Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Schulsystem nun beendet, und Neve beschloss, ihre neueste Erkenntnis zu testen. Sie drückte die Arme an den Körper, um ihr Dekolleté etwas zu betonen, dann setzte sie ein Mona-Lisa-Lächeln auf und lugte durch die Wimpern zu ihm hoch.
Als sie das zum ersten Mal getan hatte, und zwar völlig unabsichtlich, hatte Max sie gebeten, es nie wieder zu tun, vor allem nicht, wenn sie gerade in einem Caffè Nero saßen, denn er war kurz davor gewesen, sie aufs WC zu schleppen und ein paar Dinge mit ihr anzustellen, für die sie in jeder Caffè-Nero -Filiale des Landes Hausverbot bekommen konnten.
Williams Blick fiel ganz automatisch auf ihre Brüste und verweilte dort einen Moment lang, und Neve wartete auf das Kribbeln und auf die plötzliche Atemnot, doch sie fühlte nichts. Nicht einmal, als er sich anders hinsetzte und dabei ihr Bein streifte.
Sie seufzte und verschränkte die Arme. » Also«, sagte sie. » Du hast mir zwei Überraschungen versprochen. Vielleicht fängst du am besten mit dieser wichtigen, lebensverändernden Frage an, die du mir stellen wolltest.«
Wenn er sie jetzt fragte, ob sie seine Freundin
Weitere Kostenlose Bücher