Was sich kusst das liebt sich
werden wollte oder ihr– Gott bewahre– seine Liebe gestand, dann würde sie bestimmt etwas fühlen. Sie musste etwas fühlen.
» Bist du bereit?«, fragte er sie grinsend.
» Bitte, William, die Spannung bringt mich noch um.« Neves Mund war wie ausgetrocknet, und sie zitterte leicht, aber es war schwer zu sagen, ob es an der Aufregung lag oder am Hunger.
» Was hältst du davon, mit mir nach Warwickshire zu ziehen?«
» Wie bitte?« Das war ja ein Mittelding zwischen einem » Willst du mit mir gehen?« und einem Heiratsantrag.
» Naja, nicht mit mir, aber du müsstest umziehen«, korrigierte sich William. Wenn er doch nur endlich Klartext reden würde! » Ich habe eine Stelle an der Universität Warwickshire angenommen, am Englisch-Institut, und du wirst meine wissenschaftliche Hilfskraft.«
» Ach, ja?« Neve verspürte nur eines: Erleichterung darüber, dass William ihr keine Frage gestellt hatte, die früher oder später dazu führen würde, dass sie sich nackt auszogen. Das, und eine grenzenlose Verwirrung. » Aber sind die wissenschaftlichen Hilfskräfte nicht meist Doktoranden?«
» Ich habe mit dem Dekan gesprochen; er wäre begeistert, wenn du dort promovierst. Die Finanzierung ist bestimmt kein Problem, und ich könnte dir natürlich ein kleines Stipendium zahlen, und ab dem zweiten Jahr kannst du dir dann ja dein Einkommen als Dozentin aufbessern. Ich bin sicher, deine Magisterarbeit lässt sich zur Doktorarbeit ausbauen. Worüber hast du noch gleich geschrieben?«
» Über die Rückbesinnung auf den feministischen Roman der Zwischenkriegszeit«, antwortete Neve mit belegter Stimme. Er hätte sich an das Thema ihrer Arbeit erinnern sollen– sie hatte ihm so viele Briefe darüber geschrieben. » Entschuldige, William, ich bin vielleicht etwas schwer von Begriff, aber wie kommst du darauf, dass ich vorhabe, eine Doktorarbeit zu schreiben?«
William starrte sie an, als wäre sie nicht nur schwer von Begriff, sondern als würde sie sich absichtlich dumm stellen. » Na, du musst doch promovieren, um meine wissenschaftliche Hilfskraft zu sein«, sagte er ungeduldig. » Ich weiß, du wolltest dir noch ein paar Jahre Zeit lassen damit, aber mit jedem Tag, den du in dieser Bücherei verbringst, schwindet deine intellektuelle Muskelmasse.«
» Es ist keine Bücherei, sondern ein Literaturarchiv«, entgegnete Neve pikiert. » Ich arbeite gern dort, und im Übrigen trainiere ich meine intellektuellen Muskeln jeden Tag.«
» Natürlich tust du das«, sagte er besänftigend. » Oder du glaubst zumindest, dass du es tust. Aber das liegt nur daran, dass du so lange ohne lebhafte wissenschaftliche Streitgespräche gelebt hast.«
Sie führte im Archiv jede Menge lebhafte Streitgespräche, auch wenn es meist darum ging, woher die Flecken auf Mr Freemonts Krawatte kamen oder in welchem Strickjäckchen Unsere liebe Frau vom gesegneten Taschentuch wohl diesmal aufkreuzen würde.
» Ich arbeite gern dort«, wiederholte Neve fest. » Ich mag meine Kollegen, und meine Arbeit ist sehr abwechslungsreich. Im Herbst mache ich sogar eine Fortbildung zum Thema Buchrestaurierung, und ich schrei…«
» Ich möchte ein Buch schreiben«, platzte William heraus und nahm ihr damit quasi die Worte aus dem Mund.
» Oh…«
» Ja, ich dachte mir schon, dass dich das überzeugen würde. Ich denke da an ein mehrbändiges Werk über die Korrelation zwischen Romantik und Neuzeit.«
» Aber die Romantik ist nicht mein Fachgebiet.«
» Schon, aber du schreibst das Buch ja nicht, sondern ich. Wobei ich natürlich auf deine Hilfe angewiesen bin.«
» William…«
» Wir könnten zunächst ein Exposé und die ersten drei Kapitel ausarbeiten und dann einige Agenten kontaktieren…«
» William!«, sagte Neve scharf, um die Aufmerksamkeit von ihm auf sich zu lenken. » Ich schreibe bereits ein Buch. Naja, ich habe zumindest damit angefangen.«
» Du schreibst ein Buch?« Musste er das gar so ungläubig und spöttisch sagen? » Einen Roman?«
» Nein, eine Biografie, und zwar über Lucy Keener, und ich werde auch ihre Gedichte und Kurzgeschichten herausgeben, obwohl mein Agent der Ansicht ist, dass wir damit lieber noch warten sollten, bis wir einen Verlag für ihren Roman gefunden haben.« Neve hätte ihm diese Neuigkeit gern voller Stolz präsentiert, aber er runzelte die Stirn und wirkte nicht sonderlich erfreut, also brachte sie die Worte leise und in einem entschuldigenden Tonfall vor.
» Du hast einen Agenten?«, fragte er
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