Was sich kusst das liebt sich
noch einmal durchzukauen, als dass er Zeuge einer ihrer Fressattacken wurde. » Wickle sie doch einfach in die Servietten, steck sie in deine Tasche, und wirf sie später weg.«
Jetzt hatte Neve Max’ Umhängetasche mit dem Marc-Jacobs-Logo erspäht, die am Tischbein lehnte. » Kannst du sie nicht in deine Tasche stecken? Bitte.« Sie konnte schon das erste warnende Kribbeln in den Tränendrüsen spüren. » Ich flehe dich an, Max.«
Es wirkte: Max wickelte die Sandwiches sorgfältig in die roten Servietten, die Bridie dazugelegt hatte. Seiner Miene nach zu urteilen hielt er ihre Bitte für die reinste Zumutung, aber immerhin tat er es, und nur das zählte. » Hoffentlich trieft das Zeug nicht auf mein Ladegerät.«
Erst als die Sandwiches verstaut waren und Max die Tasche hinter das Sofa geschoben hatte, sodass Neve sie nicht mehr im Blickfeld hatte, lehnte sie sich zurück und griff zitternd nach ihrer Teetasse. » Entschuldige«, murmelte sie. » Es geht noch, wenn ich von vorneherein weiß, dass es etwas gibt, das ich nicht essen darf, aber wenn es so überraschend kommt…« Sie brach ab, denn niemand konnte wirklich nachvollziehen, dass Nahrung für sie eben nicht nur ein Energiespender war und dass jeder noch so kleine Happen eine Gefahr darstellte. Jede Mahlzeit, jeder Bissen war eine Schlacht in einem nie enden wollenden Krieg.
» Du hast in deinem Brief erwähnt…« Max ließ den Blick über sie gleiten. » Ich finde, du siehst total okay aus, und ich habe neulich doch so einiges von dir gesehen…«
» Du hast nur das gesehen, was ich dich sehen lassen wollte.« Neve dachte daran, wie sie die Arme an die Seiten gepresst und nicht einmal das Unterkleid ausgezogen hatte.
» Ich glaube, ich habe ein bisschen mehr als das gesehen, als ich unter die Decke gekrochen bin«, widersprach Max in seiner gemächlichen, amüsierten Art. Bei seinen Worten sollte ihr eigentlich jedes einzelne Haar zu Berge stehen. Stattdessen verspürte Neve ein Schaudern, das nichts mit den Käsesandwiches zu tun hatte, sondern mit seiner Stimme, die so tief und samtig klang, als hätte Max durchaus positive Erinnerungen an die paar Augenblicke, die er zwischen ihren gewaltigen Schenkeln verbracht hatte.
» Es war ziemlich dunkel, und du warst betrunken«, entgegnete sie. » Mein Körper…« Sie schluckte schwer. Sie hatte es zwar in ihrem Brief geschrieben, aber es fiel ihr nie leicht, es auszusprechen. » Wenn ich immer so viel gewogen hätte wie jetzt, würde mein Körper anders aussehen. Aber ich war viel, viel schwerer, und das sieht man.«
» Dann hast du eben ziemlich viel abgenommen.« Max zuckte die Achseln. » Mal ehrlich, solange man nicht fettleibig ist, gibt es keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Ihr Frauen seid so auf euer Gewicht fixiert und glaubt immer, dass ihr mehr wiegt, als es tatsächlich der Fall ist.«
Neve hatte bereits geahnt, dass sie diese Diskussion führen würden, als sie Max vor ihrer Tür hatte sitzen sehen. Zumindest würde ihr diese Unterhaltung mit William erspart bleiben, denn er kannte sie noch von früher. Wie auch immer, nach dem heutigen Abend würde sie Max definitiv nie mehr wiedersehen, also konnte sie genauso gut mit der ganzen Wahrheit herausrücken.
» Ich weiß immer ganz genau, wie viel ich wiege…« Hoffentlich hatte Gustav sie nicht heimlich verwanzt. » Und ich war fettleibig.«
» Ach, bitte…«, winkte Max ab, aber Neve war auch darauf vorbereitet. Sie hatte vorhin extra das Foto mitgenommen, das normalerweise an ihrer Kühlschranktür hing; und das zog sie nun aus der Tasche und knallte es auf den Tisch.
» Hier. Ich habe mal 162Kilo gewogen. Ich trug Kleidergröße 58. Das war das Größte, was Evans zu bieten hatte– und sogar das saß noch knapp.«
» Ach du Scheiße!« Max starrte entsetzt auf das Foto. » Das… das bist doch nicht du«, presste er hervor. » Das kann nicht sein.«
Das Foto war beim Familienweihnachtsessen vor vier Jahren entstanden. Normalerweise war Neve stets davongelaufen oder eher– gewatschelt, sobald jemand einen Fotoapparat gezückt hatte. Aber damals hatte es Celia geschafft, sie unbemerkt zu fotografieren, als sie sich gerade ein in Schinken gewickeltes Cocktailwürstchen in den weit aufgerissenen Mund stecken wollte. Es zeigte ihr Vierfachkinn in voller Pracht, und auch der Rest war alles andere als eine Augenweide: ein unförmiger schwarz gekleideter Fleischberg, gekrönt von einem runden, blassen, hamsterbackigen
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