Was starke Männer schwach macht
das Kartoffelgratin gleich wieder abtrainieren“, erklärte er und sprang auf das Laufband. „Ist dir schon mal aufgefallen, dass wir hier nie etwas Frisches essen?“
„Du klingst ja fast schon wie Priscilla.“
„In manchem hat sie durchaus recht. Ruby sagt, dass ich dringend abnehmen muss. Sie findet mich nicht sexy genug.“
Tony fand das Wort „sexy“ im Zusammenhang mit Otis ohnehin völlig absurd.
„Sie hat mich gestern übrigens zu Belinda’s geschleift.“
„Wirklich?“
„War gar nicht so übel. Ich hätte zwar die doppelte Portion verdrücken können, aber geschmeckt hat es.“
„Die Portionen sind eigentlich nur für Frauen gedacht.“
„Dann will deine Freundin also keine männlichen Gäste?“
„Zumindest nicht so viele. Aber einige wenige, die sich gut benehmen, sind willkommen.“
Otis lachte. „Wie will sie denn Geld verdienen, wenn sie die Hälfte der Bevölkerung ausschließt?“
Tony schüttelte den Kopf. „Gute Frage.“
„Mir ist aufgefallen, dass sie nur wenige Gäste hatte.“
„Stimmt.“
„Glaubst du, ihr Tearoom hält sich?“
„Keine Ahnung“, gestand Tony. Die Vorstellung, dass das Belinda’s vielleicht schließen musste, war ihm sehr unangenehm. Aber vielleicht brachten die Anzeigen und die Mundpropaganda ja etwas.
„Ich hoffe, sie schafft es“, sagte Otis zu Tonys Überraschung. „Ich vermisse das Brady’s zwar immer noch, aber es ist schon toll, was deine Julie aus dem Laden gemacht hat.“
„Wolltet ihr die Bar nicht kaufen?“
„Wir haben ein paar der Gläubiger kontaktiert, konnten uns aber nicht mit ihnen einigen.“
Tony sah wieder aus dem Fenster. Ein Lichtschein im Tearoom weckte seine Aufmerksamkeit. Schaute Julie dort vielleicht gerade nach dem Rechten? Manchmal konnte sie nämlich nicht schlafen. Wenn sie tatsächlich noch wach war, würde er sie kurz anrufen – nur, um ihre Stimme zu hören.
Hm, nun war nichts mehr zu sehen. Vielleicht war es ja auch nur die Reflexion eines Scheinwerferlichts im Fenster gewesen.
Otis stoppte das Laufband und stellte sich neugierig neben Tony. „Was starrst du denn so?“
„Ich dachte, ich hätte drüben im Tearoom ein Licht gesehen. Eigentlich dürfte um diese Uhrzeit nichts mehr an sein. Da, schon wieder …“
„Das ist kein Licht“, fiel Otis ihm ins Wort. „Da brennt es!“
Wie in Trance rannte Tony nach unten, um sich umzuziehen. Dann jagte er zu Captain Campeon, um ihm Bescheid zu sagen. „Julie ist da drin! Sie wohnt direkt über dem Restaurant. Ich gehe schon mal rüber.“ Während er über die Straße lief, drückte er auf seinem Handy hastig die Schnellwahltaste für Julies Telefonnummer.
Leider sprang nur ihr Anrufbeantworter an. Warum ging sie nicht ran?
Hinter dem Haus hämmerte er gegen die separate Tür, die zu ihrer Wohnung führte. „Julie, nimm den Hörer ab!“, schrie er panisch ins Handy. „Mach die Tür auf!“ Sie nahm nicht ab.
War sie etwa schon ohnmächtig geworden? Tony hatte keine Ahnung, wie lange es da drinnen schon brannte.
Leider waren beide Hintertüren aus Stahl – keine Chance, da ohne Werkzeug reinzukommen –, und die Fenster waren vergittert. Das Haus war das reinste Fort Knox!
In wachsender Verzweiflung rannte Tony zur Front des Gebäudes, wo Ethan und McCrae sich gerade mit einer Kreissäge an der Eingangstür zu schaffen machten.
Tony lief zurück zu Captain Campeon, um ihm Bericht zu erstatten. „Ich kann Julie nicht wach bekommen. Bitte um Erlaubnis, eine Leiter zum ersten Stock anlegen zu dürfen.“
„In Ordnung“, sagte Captain Campeon. „Aber nehmen Sie Granger mit.“
Tony schnappte sich Otis und informierte ihn über ihren Auftrag. Als er eben eine Leiter vom Feuerwehrauto nahm, hörte er, wie die Eingangstür des Tearooms nachgab. In Rekordzeit hatten er und Otis die Leiter aufgestellt. Ausgerüstet mit Atemmaske und Axt kletterte Tony die Leiter so schnell hoch, dass Otis Mühe hatte, ihm zu folgen. „Warte auf mich“, rief sein Freund keuchend. „Mann, ich muss wirklich dringend wieder in Form kommen!“
Zum Warten hatte Tony jetzt keine Zeit. Mit einem präzisen Axthieb durchschlug er den Fensterladen und das Glas. Kurz darauf war er im Schlafzimmer, Otis ihm knapp auf den Fersen. „Julie!“
Zu seiner Erleichterung war hier oben kaum Rauch zu sehen, aber das Zimmer war bis auf eine Kommode leer. Offensichtlich hatte Julie noch immer kein Bett. Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer, wo der Rauch schon etwas
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