Was will man mehr (German Edition)
Zeitung prallt von der Haustür ab und landet in den Rabatten.
«Was machen Sie da?», kräht Jenkins empört.
Im gleichen Moment saust eine zweite Zeitung nur knapp an ihm vorbei und trifft eine Blumenampel. Sie fällt zu Boden, der Topf zerbricht.
«Ähm, stopp mal, Paul …?», will Schamski intervenieren, aber ich höre ihn gar nicht.
Eine weitere Zeitung saust durch den Vorgarten, gefolgt von noch einer und noch einer und noch einer und noch einer.
«Ich rufe die Polizei!», brüllt Jenkins. «Ich bring euch alle ins Gefängnis!»
Ich werfe wie von Sinnen mit Zeitungen. Eine landet auf dem Dach, eine andere prallt gegen das Küchenfenster. Gott sei Dank bleibt es heil. Eine dritte schießt übers Haus hinweg, eine vierte trifft endlich genau die Lücke, die ich ursprünglich anvisiert habe. Jenkins hat jedoch einen winzigen Moment zuvor ruckartig die Tür zugezogen. Mit einem leisen und dumpfen Geräusch prallt nun die Zeitung gegen die geschlossene Haustür und fällt dann exakt mittig auf die Fußmatte. Ignoriert man die vielen Zeitungen, die drum herum liegen, dann sieht es so aus, als ob einem Zeitungsjungen ein perfekter Wurf gelungen wäre.
Ich atme ein paarmal durch und betrachte mein Werk. Ich spüre eine tiefe Zufriedenheit, aber auch eine große Irritation. Habe ich wirklich gerade einen alten Mann mit Zeitungen beworfen?
Schamski legt seine Hand auf meine Schulter. «Wir gehen jetzt mal irgendwo einen schönen Tee trinken, Paul.» Er klingt wie ein gutmütiger Altenpfleger, der einen aufmüpfigen Insassen zu beruhigen versucht.
Das Café ist heruntergekommen, der Tee schmeckt jedoch ganz hervorragend. Es scheint in diesem Land Tradition zu sein, dass man immer eine gute Tasse Tee bekommt, egal wie widrig die Umstände oder wie schlecht die Zeiten auch sind. Ich nehme an, selbst britische Obdachlose unterbrechen um Punkt fünf für ein Stündchen das Betteln und Hausieren, um sich unter irgendeiner Brücke einem entspannten Nachmittagstee zu widmen.
«Wir hätten noch Weihnachtskuchen und Teekuchen», erklärt die müde wirkende Bedienung. «Der Teekuchen ist aber von vorgestern.»
«Und der Weihnachtskuchen?», fragt Schamski.
«Von heute», erwidert die Bedienung. «Weihnachten ist ja erst übermorgen.»
Schamski und ich sehen uns an. Die Logik, gemäß der in diesem Laden gebacken wird, leuchtet uns beiden nicht ganz ein. Wir wollen das Problem aber auch nicht weiter vertiefen und entscheiden uns gegen Gebäck.
Schamski sieht mich an. «Okay, Paul. Was ist los?»
Ich zucke mit den Schultern. «Was soll schon los sein? Ich bin Vater eines zweieinhalb Monate alten Sohnes, den ich praktisch nicht zu Gesicht bekomme. Seine Mutter findet zwar, dass er eine Beziehung zu seinem Vater aufbauen sollte. Tatsächlich wird das Kind aber von der Tante, der Großtante und der Urgroßmutter aufgezogen. Ich bin nur der Laufbursche.»
«Du übertreibst», sagt Schamski. «Außerdem wären andere Väter froh, wenn sie so viel Hilfe hätten.»
«Wer sagt das?», erwidere ich spöttisch. «Deine Melissa?»
«Nein», erwidert Schamski und ringt sichtlich um Fassung. Offenbar würde er mir jetzt sehr gerne eins auf die Mütze hauen. «Das sagt nicht … meine Melissa. Stell dir vor, das habe ich mir ganz allein überlegt.»
Er stützt die Ellbogen auf den Tisch und sieht mir nun direkt in die Augen. «Aber kann es sein, dass der große Paul Schuberth ein Problem damit hat, mal ausnahmsweise nicht die erste Geige zu spielen?»
Ich will sofort etwas einwenden, aber Schamski hebt die Hand, um mir zu bedeuten, dass er noch nicht fertig ist.
«Vielleicht hat ja der große Paul Schuberth so lange Leute herumkommandiert, dass er selbst ganz vergessen hat, wie das ist, wenn man fremdbestimmt wird. Obendrein von der eigenen Familie.»
Ich warte einen Moment. «Bist du fertig?», frage ich dann.
Schamski schüttelt den Kopf. «Nein, bin ich nicht. Ich glaube, dass der große Paul Schuberth lernen muss, Geduld zu haben. Nicht nur mit sich, sondern auch mit seiner Umwelt. Mag ja sein, dass er im Moment nichts zu melden hat. Aber erstens ist das okay, und zweitens ist es noch lange kein Grund, alte Leute mit Zeitungen zu bewerfen.»
Jetzt bin ich es, der sich beherrschen muss. Schamski sieht es mir an. Das scheint ihn jedoch nicht weiter zu stören. Er wirkt gelassen.
«Du musst übrigens nicht in der dritten Person von mir sprechen, wenn ich vor dir sitze», sage ich.
«Klang irgendwie gut», erwidert
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