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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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klatschten und Wim Thoelke kündigte die nächste Sendung an, und sicher würde der Vater mich nach der Sendung ins Bett schicken.
    Die Geschwister freuten sich, sagte der Vater, dass ihre Mutter wieder da war. Mittags stand sie plötzlich in dem großen Zimmer, in dem wir nachts alle schliefen. Ihre Haare hatte sie auf dem Kopf zusammengebunden, ihre braune Hornbrille steckte schief auf ihrem harten Gesicht. Sie schaute sich um, gab einem der Kleinen ihren Mantel. Derselbe Mantel, den sie anhatte, als man sie abgeholt hat. Da war es Winter. Jetzt war es Sommer. Sie war blass und krumm. Sie fragte: Wo ist mein Mann? Sie fragte zum zweiten Mal. Niemand sagte etwas. Ich kam gerade aus meiner Dachkammer, als sie anfing zu schreien. Wo ist mein Mann? Wo ist er? Ich ging zu ihr. Ich habe ihre Hände genommen, ich habe ganz fest zugedrückt. Sie hat mich angestarrt, sagte der Vater, mit ihren grünen Augen, die matt aussahen durch die dicken Gläser ihrer Brille. Es schien, als würde sie mich nicht erkennen, sagte der Vater. Bei den wenigen Besuchen im Gefängnis hatte ich meinen Geschwistern den Vortritt gelassen. Der Vater zögerte. Er drehte sich zu mir um. Seine Augen waren glasig. Und dann sprach er weiter, zu mir: Wer bist du, fragte sie mich. Ich bin dein Sohn, habe ich ihr geantwortet. Ichbin gewachsen. Der Vater fing an, seine Mutter zu imitieren. Er spitzte den Mund und riss die Augen weit auf. Du siehst aus wie mein Mann, sagte sie. Du siehst aus wie mein Mann, als er noch jung war, vor siebzehn Jahren, als ich ihn kennengelernt habe. Du siehst aus wie dein Vater. Wo ist er? Wo ist dein Vater? Ich führte sie auf die andere Seite des Zimmers, sagte der Vater, ich öffnete das Fenster und zeigte in den Garten. Siehst du, da unter dem Baum. Da sitzt er in seinem Sessel. Was macht er da?, fragte meine Mutter. Er redet mit der Kastanie. Er trinkt den ganzen Tag. Neuerdings singt er Lieder. Die alten Lieder, und ich pass auf, dass er nicht zu laut singt. Er ist verrückt geworden. Meine Mutter schlug mir mit der flachen Hand mitten ins Gesicht, sagte der Vater, mitten ins Gesicht. Ich lief in den Garten und stellte mich vor den Vater. Ich wusste, dass sie mich von oben beobachten würde, sagte der Vater, und um ihr zu beweisen, was los war mit ihrem Mann, stellte ich mich mutig vor ihn hin und erzählte ihm, was sie in der Schule zu mir sagten. Du bist kein Genosse, sagten sie, du bist ein Kapitalistensohn. Für dich gibt es hier keinen Platz. Und ich fragte ihn, was soll das sein, ein Kapitalistensohn. Und er schrie: Fängst du schon wieder an. Ich hatte ihm vor ein paar Wochen schon mal dieselbe Frage gestellt und da hatte er mich gefragt, wer das gesagt hätte, und als ich ihm den Namen des Lehrers genannt hatte, ist er am nächsten Tag in die Schule gegangen und wollte den Lehrer zur Rede stellen, was ihm einfalle, so was zu seinem Sohn zu sagen, aberder Lehrer ließ sich auf nichts ein und rief sofort die Volkspolizei und ließ ihn aus der Schule werfen. Und ich, sagte der Vater, habe mich nicht mehr getraut, in die Schule zu gehen. Jetzt stand ich wieder vor ihm und erzählte ihm die gleiche Geschichte noch mal, weil ich wollte, dass er was macht, weil ich wollte, dass meine Mutter sieht, was mit ihm los war in seinem Sessel, in dem er den ganzen Sommer saß und langsam in seinem Wein ertrank. Hör auf damit, schrie er mich an, sagte der Vater. Ich kann nichts machen. Das sind alles Schweine, schrie er, elende Schweine. Und er schrie so laut, dass ich ein paar Meter zurückwich und dann hat er mit seinem halb vollen Glas nach mir geworfen, ich solle verschwinden, hat er geschrien, ich solle abhauen, und das Glas traf mich an der Stirn, sagte der Vater. Die Haut platzte auf, das Blut schoss aus der Wunde, der Rotwein über meine Kleider, das Blut schmeckte süß, sagte der Vater. Die Mutter und die Geschwister kamen nach unten gerannt, sie wickelten mir eine Mullbinde um den Kopf und brachten mich zum Arzt. Die Wunde wurde genäht. Damit hatten die Ärzte Erfahrung in diesen Jahren. Der Arzt, der mich genäht hatte, sagte der Vater, der wusste ja nicht, was geschehen war. Ich roch nach Rotwein, er sah die Wunde und dann sagte er: Pass auf mit dem Wein, mein Junge. Der Vater lachte. Jetzt kennst du die Geschichte von der Narbe, sagte er, und tatsächlich strich er sich die Haare über die Glatze, stieß meine Beine, die immer noch auf seinen Schultern lagen, nach oben und stand auf. Ich purzelte auf das

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