Was wir unseren Kindern in der Schule antun
der in diesem System schon länger tätig ist, fällt es einem oft gar nicht mehr so auf, wie weit man schon davon weg ist, die Kinder im Blick zu haben. Die ganze Bürokratie ist einfach so übermächtig und man kann sich ihrer gar nicht erwehren, allem voran der ewige Beurteilungs- und Benotungszwang mit all seinen Folgen. Besonders in diesem Aspekt liegt meiner Meinung nach die Ursache, warum es so oft scheint, als würden die falschen Menschen Lehrer werden. Unser Schulsystem ist ein System, in dem genau die Menschen weit leichter und erfolgreicher leben, die einfach nur ihre Dienstpflichten abarbeiten, als Menschen, die sich kümmern und mit einem idealistischen Anspruch ihrem Beruf nachgehen.
Ich hätte gröÃte Befürchtung, dass sich durch die oft geforderte âTauglichkeitsprüfung vor dem Studiumâ dieser Trend fortsetzt und noch mehr Menschen als Lehrer eingesetzt werden, die vor allem Formalien erfüllen können, statt welche, die sich der engagierten Begleitung von Kindern verschrieben haben. Die Situation wird sich erst ändern, wenn die Schulen selbst ihr Personal wählen dürfen, wenn der Lehrberuf wieder ein Ehrenberuf ist und es nicht mehr hauptsächlich um das Erfüllen vorgegebener Aufgaben geht, sondern um den notwendigen Idealismus, um ein von innen heraus erwachsendes Engagement und um die Bereitschaft, sich als ganzer Mensch zum Wohle der Kinder einzubringen.
Erst dann hätten auch die üblichen Evaluationen ihren Sinn. Derzeit kommt alle vier bis fünf Jahre ein Team, meist bestehend aus gut beurteilten Lehrkräften und Rektoren, in andere Schulen, um wiederum diese zu beurteilen. Es gibt regelrechte
âKatalogeâ, was die einzelnen Schulen leisten und vorweisen müssen. Qualitätsmanagement und Sicherstellung von Standards sind an sich keine schlechte Sache, wenn es eben nicht wieder hauptsächlich um die Wahrung des äuÃeren Scheins ginge, sondern in erster Linie um den Geist, der in einer Schule lebt, und ob sich Schüler und Lehrer dort wohlfühlen.
In einer Schule, in der der Besuch eines Evaluationsteams angekündigt war, musste ich zum Beispiel zunächst unzählige Seiten an Fragebögen zu meinem Unterricht ausfüllen. Dann sollten wir alles fotografieren, was sich irgendwie zum âHerzeigenâ eignete, und Berichte darüber schreiben. All das wurde in dicken Ordnern abgeheftet, die belegen sollten, wie viel Projekte, Freiarbeit, Wochenplanarbeit, Medienerziehung, Sport im Klassenzimmer und dergleichen Aktivitäten absolviert werden. Fortan fanden (teilweise mehrfach wöchentlich) stundenlange Lehrerkonferenzen oder Arbeitsgruppensitzungen statt. Auf die Schnelle musste ein Schulprofil erstellt werden. Dabei sollten wir unbedingt die Schülerbeteiligung deutlich machen, das würden die vom Evaluationsteam sehen wollen. Dass diese an dieser Schule so gut wie gar nicht oder nur pro forma vorhanden war â¦? Egal! Binnen weniger Wochen musste ein Schullogo gefunden und ein pädagogisches Konzept erarbeitet werden. Eine Homepage wurde erstellt, für diese von zahlreichen anderen Schulwebsites abgeschrieben. Und für die Besuchstage wurden Codewörter vereinbart, damit jeder wusste, wo sich die Beurteiler gerade aufhielten, um sich dementsprechend verhalten zu können.
Aber an diese Vorspiegelung hat man sich als Lehrer fast schon gewöhnt. Selten nennt jemand etwas beim Namen und findet gute, nachhaltige Lösungen, lieber wird mit schönen Worten über die Situation hinweggetäuscht, gerade auch auf politischer Ebene. Eine Befragung von circa sechshundert Lehrkräften kam beispielsweise zu dem Ergebnis, dass ein GroÃteil der Lehrer in den vorgeschlagenen MaÃnahmen der Hauptschulinitiative keine Lösung der aktuellen Probleme an den Schulen sieht. 2 In einer Reaktion auf diese Befragung betitelt das Kultusministerium seine Pressemitteilung Nr. 324 vom
23. Oktober 2008 dennoch mit der Ãberschrift: âViele Lehrkräfte erkennen bereits positive Auswirkungen der Hauptschulinitiative für die Schülerâ. 3 Der Druck des âAussortierensâ in der vierten Klasse wird ebenso regelmäÃig kleingeredet wie die Belastungen im G8. Neue Lernmethoden werden entworfen, ohne dass die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben sind. Dann wieder werden groÃe Verbesserungen angekündigt und angepriesen, die sich rasch als Mogelpackung
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