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Wasser-Speier

Wasser-Speier

Titel: Wasser-Speier Kostenlos Bücher Online Lesen
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Atem. Es gab hier zwar Luft, aber sie war i r gendwie anders. Ihm war, als würde er vom Grund eines Teichs in die Höhe blicken oder vom Gipfel eines Berges in die Tiefe sp ä hen. Die Landschaft war von einer quellenden, kurvigen Form, als blickte er durch das Auge eines Fisches. Als er einen Schritt nach vorn machte, war ihm, als würde er eine riesige Strecke zurückl e gen, ohne sich dabei merklich zu bewegen.
    Er wandte sich Mentia zu seiner Linken zu. Sie wirkte durchaus gefaßt. Da man schon leicht verrückt sein mußte, um sich in di e sem Wahnsinn wohlzufühlen, leuchtete ihm das sogar ein. Er mu s terte Iris zu seiner Rechten. Sie hatte sich in Illusion gehüllt und sah aus, als befände sie sich in den mittleren Jahren; vielleicht hatte sie in ihrer Verwirrung ganz vergessen, daß ihre körperliche Ge s talt inzwischen ja sehr viel jünger war.
    Sie lösten die Hände und musterten einander. »Das ist anders als beim letztenmal«, bemerkte Hiatus. »Nicht ganz so schlimm.«
    »Vielleicht sind wir ja vom Glück gezeichnet«, warf Iris unsicher ein.
    »Zeichnen!« sagte Überraschung und begann zu schielen. Sie nahm ein dünnes Stöckchen auf und zeichnete eine Gestalt auf den Boden: ein Strichmännchen mit Ballonkopf.
    »Ich würde nicht…«, begann Hiatus. Aber das kam natürlich zu spät.
    Das Strichmännchen sprang vom Boden auf, ohne dabei Spuren zu hinterlassen.
    Überraschung zeichnete ein einfaches Haus, ganz, wie es ihrem Alter entsprach: ein schlichtes Quadrat mit einer Tür und Fenstern und einem Giebeldach. Sie berührte es mit der freien Hand und hob es auf. Es sah aus wie ein Drahtgestell, zweidimensional, aber stabil. Nun zeichnete sie ein Tier, mit kastenähnlichem Körper, vier Strichbeinen, einem gekringelten Schwanz und einem runden Kopf, aus dem zwei Ohren in die Höhe schossen. Das Tier sprang auf und huschte sofort aus dem Bild, denn es besaß zwar Höhe und Länge, aber keine Tiefe.
    »Hat ihr Talent sich verändert?« fragte Hiatus.
    »Schwer zu sagen«, erwiderte Gary. »Dieses Talent haben wir a u ßerhalb des Wahnsinns bisher noch nicht zu Gesicht bekommen.«
    »Wir sollten lieber weitergehen«, meinte Iris. »Hiatus, laß doch noch ein paar Nasen wachsen, damit wir die Richtung halten.«
    Hiatus konzentrierte sich. An den Bäumen erschienen Gegen s tände. »Das sind aber gar keine Nasen!« meinte er.
    »Das ist mir auch schon aufgefallen«, erwiderte Iris. »Vielleicht Nasenhaare?«
    Hiatus trat näher, um eins der Dinger zu inspizieren. »Sieht mir eher nach einer Wurzel aus«, meldete er. »Ich versuche es noch einmal.«
    Diesmal erschienen runde, flache grüne Dinger auf den Stä m men.
    »Ich glaube, das sind Blätter«, meinte Gary.
    »Aber ich kann doch gar keine Blätter wachsen lassen«, b e schwerte Hiatus sich verwirrt.
    »Hier im Wahnsinn offensichtlich schon«, bemerkte Mentia. »Klingt mir eigentlich nach einem ganz vernünftigen Talent.«
    »Aber ich habe doch sonst immer nur Ohren, Nasen, Münder und Augen wachsen lassen«, fuhr Hiatus mit seiner Klage fort. »Was soll ich denn mit Blättern?«
    »Blätter, Blätter, Blätter! Wen interessiert denn das?« fauchte Iris.
    »Wetter, Wetter, Wetter!« rief Überraschung. Plötzlich waren sie ringsum von Riesen im Erdreich umgeben.
    »Das ist aber kein Wetter!« wandte Hiatus ein. »Das sind Ritzen.«
    »Also hat ihr Talent sich doch verändert«, meinte Gary. »Sie hat es mit Wetter versucht, aber nur Ritzen zustande gebracht. Der Wahnsinn hat demnach unsere Talente beeinträchtigt.«
    »Was ist denn mit deinem?«
    »In dieser Gestalt habe ich keins. In meiner natürlichen Form würde ich jetzt wahrscheinlich Wasser verschmutzen, statt es zu reinigen.«
    »Und was ist mit Mentia?«
    »Meine Talente sind eher inwendiger Art«, meinte die Dämonin. »Ich kann immer noch die üblichen dämonischen Dinge tun.«
    »Aber du wirkst überhaupt nicht mehr verrückt.«
    »Oh!« machte sie entsetzt. »Du hast recht. Ich bin völlig normal. Das ist ja schrecklich!«
    »Wie wär’s, wenn wir unsere Reise fortsetzen?« warf Iris ung e duldig ein. Dann stapfte sie davon, ohne auf die anderen zu wa r ten.
    »Vielleicht ist sie jetzt ein bißchen verrückt«, brummte Hiatus.
    Sie gelangten durch ein Gebiet, das nicht ganz so schlimm war, wie sie befürchtet hatten. Es mochte daran liegen, daß sie sich hier noch am Außenrand des Wahnsinns befanden, wo die Auswirku n gen noch nicht so stark waren. Eine Zeitlang herrschte Stille, als

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