Wassergeld
rechter Hand, lag der überflutete Stadtpark der Parkinsel. Ganze Baumreihen standen mitten im Wasser.
»Schauen Sie sich jetzt diesen Gegensatz an«, rief mir Herr Strommeier zu. »Auf der Mannheimer Seite sehen Sie das Naturschutzgebiet der Reißinsel. Einmalig für diese dicht bebaute Region. Und wenn Sie jetzt Ihren Blick auf das Ludwigshafener Ufer lenken würden –«, er deutete mit seinem Arm nach rechts, »sehen Sie den größten europäischen Binnenumschlaghafen für Gefahrgüter. Denken Sie nicht nur an die Raffinerie, hier gibt es eine Vielzahl mittelständischer Unternehmen, die mit chemischen Gefahrgütern jeglicher Couleur handeln. Ich glaube, dass die Arbeiter nicht immer wissen, mit welchen gefährlichen Stoffen sie umgehen.«
Der Kontrast konnte nicht deutlicher sein. Eine Rheinbreite trennte ein Naturparadies von einem potenziellen Chemiegau.
Gerhard und ich fanden die Fahrt spektakulär. Aus dieser Perspektive wirkte der Rhein, zumal er Hochwasser hatte, gefährlich und unberechenbar. Nach kurzer Zeit kamen wir auch schon zu der Stelle, von wo aus normalerweise die Altriper Rheinfähre nach Mannheim ablegte. Bei dem momentanen Pegelstand musste sie aber eine Zwangspause einlegen und war am Ufer verankert.
»Jetzt passen Sie mal auf«, ertönte Strommeiers Stimme. »Auf der rechten Seite sehen Sie in wenigen Sekunden den offenen Durchgang zum Otterstädter Altrhein. Beachten Sie die starke Strömung und die Strudel, die aufgrund des Deichbruchs noch ausgeprägter sind als sonst.«
Im gleichen Moment wurde das Boot auch schon heftig durchgeschüttelt. Der Schiffsführer bog in einer Rechtskurve in den Altrheinarm ab. Mit offenem Mund betrachteten wir die Misere. Das Restaurant Rheinblick, dort, wo Gerhard und ich letzte Nacht geparkt hatten, war das einzige sichtbare markante Bauwerk. Der Rheindeich zum Marx’schen Weiher wirkte wie ein verlorenes und lang gezogenes Häufchen Erde. Deutlich konnten wir die Ausmaße der drei Deichbrüche erkennen. Jeder Durchgang war mindestens 20 Meter breit und noch immer strömte Wasser in rasantem Tempo nach. Von dem Bagger, den wir vor ein paar Stunden halb versunken gesehen hatten, war nur noch die in die Luft gestreckte Baggerschaufel zu erkennen. Weitere technische Geräte waren nicht mehr vor Ort. Zwei oder drei Beobachter der Berufsfeuerwehr Ludwigshafen konnten wir auf den Resten des Deichs ausmachen.
Bernd Schliefensang hatte sich zu uns gesellt. »So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Gut, an der Mosel hatten wir auch andere Verhältnisse. Aber trotzdem: Hier kann man deutlich sehen, wie mächtig Wasser ist. Es kann Monate dauern, bis das Hinterland wieder benutzbar sein wird.«
»Da kann ich gut verstehen, dass immer mehr Camper ihre Mietverträge kündigen«, waren die ersten Worte des blassen Studenten, seit wir auf dem Boot waren. »Die Kreisverwaltung als Eigentümer des Naherholungsgebietes prüft seit geraumer Zeit, ob sich das Gebiet noch wirtschaftlich genug betreiben lässt. Und jetzt, wo der Polder kommt, wird die Angst vor dem Wasser in den Köpfen der Leute nicht geringer.«
»Woher wissen Sie so genau Bescheid, Herr Becker?«, fragte ich ihn leicht verwundert.
»Sie lesen zu wenig Zeitung, Herr Kommissar. Ich habe über das Naherholungsgebiet Rheinauen eine Artikelserie in der Tageszeitung platzieren können. Ist noch nicht so lange her. Übrigens, der Betrieb und die Verwaltung der Campinggebiete obliegen seit den 60er-Jahren dem Verein ›Erholungsgebiet in den Rheinauen e. V.‹.«
»Mit dem Betrieb wird’s wohl so schnell nichts mehr werden«, lästerte Gerhard, den der Anblick ebenso wie mich schwer beeindruckte.
»Es ist ja nicht nur die Campinganlage«, plauderte der Student weiter. »Auch die landwirtschaftlich genutzten Flächen in der ganzen Umgebung sind betroffen. Denken Sie nur an den Polder. Ich weiß aus sicherer Hand, dass sich die Grundstückspreise in der Altriper Gegend im freien Fall befinden. Es gibt zurzeit ein wesentlich höheres Angebot als Nachfrage. Die Bauern können froh sein, überhaupt noch etwas für ihr potenzielles Seegrundstück zu bekommen. Wenn der Polder kommt, vermutet man eine weitere Steigung des Grundwassers. Irgendwann wird es nicht mehr möglich sein, die Felder landwirtschaftlich zu nutzen. Für die Kreisverwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises könnte es eine Alternative sein, die ganze Campingplatzanlage an einen Investor zu verkaufen, der dann das alleinige Risiko trägt.
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