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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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wollte, nicht wahr? Diesen wertvollen Gegenstand kann man nicht irgend jemandem anvertrauen. Und du hast die Probe bestanden, mein Freund, mein letzter Freund. Als ich sagte, ich könne sie von dort, wohin sie gegangen ist, zurückholen, hierher, wo wir beide so oft hergekommen sind, um mit jemandem zu sprechen, den wir verloren haben, wußte ich, daß du begreifen würdest, daß in dieser abgezwackten Minute jeder zurückgeholt werden könnte. Und du hast diese Chance mir überlassen, anstatt sie für dich selbst zu nutzen.
    Ich bin zufrieden, Billy. Minna und ich, wir brauchen diese Minute nicht. Aber wenn du an meiner Stelle weitermachst, dann brauchst du diese Minute, davon bin ich überzeugt. Deshalb mache ich dir ein Abschiedsgeschenk …«
    Und er setzte die Uhr in Gang, deren Ticken laut und klar wie der erste Schrei eines Neugeborenen erklang; und der Sekundenzeiger hatte sich von elf Uhr wegbewegt.
    Der Wind blies immer kräftiger, der Himmel schien sich völlig mit Wolken zu verdunkeln, und es wurde kälter, während ein sonderbarer silberblauer Dunstschwaden über den Friedhof wogte; und obwohl Billy nicht gesehen hatte, wie die Gestalt aus jenem Grab zu seiner Rechten aufgestiegen war, sah er sie jetzt auf sich zukommen. Ein Soldat in einer Uniform aus vergangenen Tagen, mit dem Dienstgrad eines Gefreiten. Er kam auf Billy Kinetta zu, und Billy ging ihm entgegen, während Caspar zusah.
    Sie standen sich jetzt gegenüber, und Billy sprach zu ihm. Der Mann, dessen Name Billy, solange er lebte, nie erfahren hatte, antwortete. Und dann entschwand er wieder, während die Sekunden dahintickten. Wurde blasser und blasser und entschwand ganz. Und der silberblaue Dunst wogte durch sie hindurch, über sie hinweg, war verschwunden, verschwunden wie der Soldat.
    Billy stand allein da.
    Als er sich umdrehte, um über das Gelände zu seinem Freund hinüberzusehen, sah er, daß Caspar von seinem Jagdstock gefallen war. Er lag am Boden. Billy eilte zu ihm, fiel neben ihm auf die Knie und hob ihn auf seinen Schoß. Caspar war still.
    »O Gott, Alter, du hättest hören sollen, was er gesagt hat. O herrje, er hat mich befreit. Er hat mich befreit, so daß ich nicht einmal sagen mußte, daß es mir leid tut. Er sagte, er hätte mich überhaupt nicht gesehen, da in meinem Versteck. Er hatte keine Ahnung, daß er mir das Leben gerettet hatte. Ich sagte, ich danke dir, und er entgegnete, nein, ich danke dir, weil ich so nicht umsonst gestorben bin. O bitte, Alter, sei noch nicht tot, ich muß dir noch etwas sagen …«
    Und der alte Mann, der sehr alte Mann, öffnete die Augen.
    »Darf ich mein altes Mädchen von dir grüßen, Billy?« Seine Augen schlossen sich, und sein Wächteramt war beendet, als seine Hand mit der wundervollen Uhr sich öffnete. Sie war jetzt wieder stehengeblieben, und zeigte eine Minute nach elf, schwebte aus seiner Hand und wartete, bis Billy Kinetta die Hand ausgestreckt hatte, schwebte dann hinein und blieb ruhig, ohne einen Laut, liegen. Sicher. Geschützt.
    Da, an diesem Ort, wo sich alle verlorenen Dinge wiederfinden, saß der junge Mann auf der kalten Erde und wiegte den Körper seines Freundes. Und er hatte keine Eile, den Ort zu verlassen. Er hatte Zeit.
     
    Originaltitel: »Paladin of the Lost Hour«
    Copyright © 1985 by Terry Carr
    (erstmals erschienen in »Universe 15«)
    mit freundlicher Genehmigung des Autors und seiner Agentur, Thomas Schlück, Garbsen
    Copyright © 1988 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München
    Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Bonhorst
    Illustriert von Jobst Teltschik

 
Christian Mähr
Sprecher und Hörer
     
    An jenem Tag war das Wetter kalt und regnerisch. Berger wußte es schon beim Aufstehen; die Rouleaus waren noch heruntergezogen, im Schlafzimmer herrschte völlige Dunkelheit; er spürte die Kälte in seinem Knie. Das Fenster dicht geschlossen, kein Laut kam herein.
    »Wie kannst du in dem Mief nur schlafen«, sagte die Frau, wenn sie heraufkam, um ihn zu wecken. Manchmal sagte sie auch nichts. Oder etwas anderes. Aber wenn sie diesen Satz zur Begrüßung benutzte, begann er zu fluchen. Er wurde ärgerlich, sofort, mitten aus dem Schlaf heraus. Er wußte selber, daß es in dem Zimmer stank wie in einem Ziegenstall. Das Fenster blieb dennoch zu; Berger fürchtete Zugluft. Durch Zugluft wurde sein schlimmes Knie schlimmer. Und er fand, es sei schlimm genug. Er verstand nicht, daß seine Tochter das nicht einsehen

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