Wasserwelten
fangen, das zweitgrößte, keinen zu fangen. Daran zeigt sich die reine Genügsamkeit des vollkommenen Anglers, dem das Gefühl mehr gilt als die Beute. Stufenförmig näherte ich mich also meinem feuchten Glücksideal. Ich hatte erfahren, wie alt die Kunst des Angelns ist, ich hatte die Stimme der Autoritäten gehört und gelernt, jede Ungeduld zu bremsen. Nun, dachte ich, ist es soweit. Wieder erfolgte eine erzieherische Enttäuschung, denn Walton, der wußte, worauf es ankommt, richtete jetzt die Aufmerksamkeit auf das, was die Freude und Tugenden des vollkommenen Anglers erst möglich macht – auf die Fische. Und er gab mir zu verstehen, daß man angesichts dieses Reichtums das Staunen nicht vergessen darf.
Schon im Psalm 104 hat sich David für das Wasser und seine Bewohner hoch begeistert; Plinius versichert, daß die Wunder der Natur sich im Wasser mehr offenbarten als irgendwo anders. Und dann das Wunder der erstaunlichsten Unterschiede der Veranlagung aller dieser Wesen. So gibt es einen Fisch, eine Rochenart, der seine Beute mit einer Artkurzer Angelleine anlockt und davon die Bezeichnung Angler trägt; er täuscht damit einen Köder vor. Weiter beschrieb schon der römische Dichter Elian einen Fisch – Adonis – als das friedlichste lebende Tier, das immer darauf bedacht sei, keinem anderen Wesen ein Leid zuzufügen. Im stärksten Gegensatz dazu steht wieder der Fisch Sargus, den Dubartas als Ausbund von Faulheit und Schlechtigkeit, als buhlerischen Herumtreiber gegeißelt hat, dem er wieder einen ganz andersgearteten entgegenhält. Dagegen der tugendhafte Cantarus schafft seiner Gefährtin wenig Verdruß; nur Pflichterfüllung kennt er als Zeitvertreib, stets ist er bemüht um sein braves Weib.
»Vielleicht sollte hier erwähnt werden, daß wir heute etwa dreißigtausend Fischsorten kennen, unter denen der Angler das Vergnügen hat, zu wählen. Dreißigtausendmal eine Variation zweckmäßiger Vollkommenheit. Als goldschuppige Spindel, als schlichtes Scheusal, als abenteuerliche Schönheit erscheint uns der Fisch. Der radarbegabte Wels und der kuhförmige Kofferfisch, der kaltschnäuzige Stör und der biedere Brassen, der Nilhecht und der Nasenhai, Saibling und Sardine, Barsch und Blei – dreißigtausendmal ein Anlaß zur Angler- und Fischerfreude. Und wenn der Fisch auch lange vor dem Fischer da war – es trennen sie rund 300 Millionen Jahre –, so sind doch alle Fische, wenn man uns Anglern trauen darf, nur zum Entzücken der Zunft geschaffen.«
Ganz gewiß, denn mit teilnehmender Freude schufGott die Fische, aber auch die Fischer. Wenigstens sagen das die letzteren. Immerhin, nun glaubt auch Walton, daß sich genug Erwartung angestaut hat. Der Fang kann beginnen, das heißt, zuerst einmal die zeremonielle Einleitung des Fangs. Wenn die gefühlsmäßige Vorbereitung nichts mehr zu wünschen übrigläßt, kann die technische Vorbereitung beginnen. Oh, wie rasch wurde ich von dem Gedanken geheilt, daß zum Angeln lediglich Stock, Schnur und Haken gehören, eine Schachtel voller Würmer und bestenfalls Wasserstiefel. Nein, wer das täte, würde augenblicklich den Groll der petrischen Bruderschaft auf sich ziehen. Vielmehr wird der Angler, und gar der vollkommene Angler, seine Liebhaberei nach so ziselierten Vorschriften ausüben wie Philipp II. seine filigranähnliche Etikette, das spanische Hofzeremoniell. Walton gab mir dezidiert zu verstehen, daß jeder Fisch einen anderen Charakter habe, andere Eigentümlichkeiten und einen sehr unterschiedlichen Geschmack, und demzufolge will jeder Fisch auf seine Weise geködert und gelandet sein. Der Döbel wird anders gefangen als der Hecht, der Lachs anders als der Karpfen und der Aal. Wie sie gefangen werden? Nun, Izaak Walton demonstriert mit klassischer Sorgfalt die Methoden des Fangs. Erstens: Das Fangen von Döbeln.
Der Döbel ist nicht wählerisch. Er nimmt viele Köder. Denselben Dienst wie ein Grashüpfer leistet auch ein Mai- oder Junikäfer, eine kleine schwarze Schnecke oder eine Larve vom Mistkäfer, wie man sie unter trockenen Kuhfladen findet. Auch einSprockwurm tut’s, die Larvenform der Köcher- fliege. Ferner eignen sich auch Teig, Geflügeldärme, Würmer, Käse, Kirschen und kleine Fische. Sie ziehen den Köder auf den Haken und gehen hinter einem Baum am Ufer oder hinter Gebüsch in Deckung. Vorsichtig lassen Sie den Köder aufs Wasser sinken und werden dann erleben, daß er meist sogleich genommen wird. Mit einem kurzen Ruck im
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