Wasserwelten
erfordert es auch vielleicht – das Idealbild eines Menschen, der nach Walton so sein sollte: vorurteilsfrei, aufrecht, gottesfürchtig und naturfroh. Damit half das Buch seinerzeit mit, in England den Begriff des Gentleman neu zu bestimmen. Wie der Übersetzer Martin Grünefeld bemerkt, wurde der Begriff des Gentleman nunmehr von allen Vorstellungen gesellschaftlicher Gebundenheit befreit, und nicht nur dies – Waltons Buch verhalf dem Anglersport in England zu nationalem Ansehen. Und als dann Übersetzungen erschienen – sie erschienen in fast allen Sprachen –, bewirkte es Außerordentliches. Beispielsweise soll es den Angelsport in Japan völlig umgewandelt haben. Kurz gesagt, und nicht zuviel gesagt: Was Herodot für die Geschichte, das ist Izaak Walton für die bedächtigen Künste der Jünger Petri, nämlich ein Vater.«
So viel zur Geschichte des Buches. Doch ich wollte vom stummen Abenteuer meiner Überzeugung erzählen.Nun, es begann anders, als ich erwartet hatte. Ich hatte erwartet, gleich an einen Fluß, an einen See geführt zu werden; ich glaubte, daß der Hecht schon nach zwei Minuten am Haken sein müsse, sah in meiner Ungeduld schon den Karpfen im Ufergras. Natürlich wurde ich enttäuscht, und zwar regelrecht enttäuscht. Obwohl es nicht geschrieben ist, lernte ich schon am Anfang das, was die einfachste Voraussetzung für einen vollkommenen Angler ist. Ich lernte die diskreten Wonnen der Erwartung kennen. Ja, mit hochgestimmter Erwartung beginnt es. Eine Geduldsprobe, die man gleich zu Anfang leisten muß. Darum führt Izaak Walton keinen auf kürzestem Wege ans Gewässer, sondern er führt seinen Leser zunächst in die dunklen Wege der Geschichte hinab. Um die Vorzüge einer erlesenen Liebhaberei wie der des Angelns zu begründen, scheint ihm die Geschichte der Menschheit nicht zu lang zu sein. Ja, ich hatte mitunter das Gefühl, daß er besonders glücklich gewesen wäre, wenn er hätte beweisen können, daß Gott selbst gelegentlich die Angel zur Hand genommen hätte. Die Welt am Angelhaken Gottes. Immerhin gelingt es ihm, sehr frühes Anglerentzücken zu entdecken.
Nach ältesten Berichten soll das Angeln schon vor der sagenhaften Deukaleonsflut, mit der Zeus das Menschengeschlecht strafte, verbreitet gewesen sein. Manche schrieben auch Belos, dem ersten Lehrer der Gottesverehrung, schon Anweisungen in dieser Kunst zu. Etwas Ähnliches ist uns von Seth, einem Sohn Adams, berichtet. Wie dem auch sei – sicherist jedenfalls, daß bereits bei dem Propheten Amos Angelhaken erwähnt werden, wie auch im Buche Hiob, das noch älter ist.
Und was meint unser Sachverständiger dazu?
»Wir müssen Walton in jeder Beziehung zustimmen. Wir wissen heute, daß der Beruf eines Fischers einen Urberuf, seine Freude gewissermaßen eine Urfreude darstellt. Der Fisch hat kultische und spirituelle Bedeutung. Er war Liebessymbol der Christen und Symbol des Speisungswunders. In der arabischen und indischen, babylonischen und ägyptischen Tradition – überall wurde dem Fisch bedeutungsvoll gehuldigt.«
Nachdem ich so gelernt hatte, wie ehrwürdig die Vergnügungen der petrischen Zunft sind, glaubte ich es an der Zeit, an diesem Vergnügen selbst teilnehmen zu müssen. Doch Walton hatte keine Eile. Weitläufig hatte er mir gezeigt, in welch einer Tradition der vollkommene Angler steht, und nun, da meine Ungeduld immer größer wurde, wandte er wieder einen erzieherischen Trick an. Er schürte die Erwartung, indem er zunächst einmal darauf verwies, daß das Angeln alles andere als ein niederes Hobby sei, sozusagen ein kleines Glück für kleine Geister. Vielmehr demonstrierte er, daß eine so ausgesuchte Liebhaberei die Gedanken verehrungswürdiger Männer wert sei, und er nannte Namen von Autoritäten, die in diesem Sport höchste Genugtuung fanden. Und ich merkte allmählich, daß alles, was Walton an den Anfang setzte – die Geschichte, die Autoritäten –, daß dies alles den Novizen davon überzeugen sollte, daß die sublimstenFreuden eines vollkommenen Anglers erstens in der Erwartung liegen und zweitens in der Vorbereitung. Und zwar gehört zur Vorbereitung sowohl die unerhört sorgfältige Auswahl und Zusammenstellung des Geräts als auch, nun, sagen wir: die Einstimmung des Gemüts. Stufenförmig, wie in den Weisheiten des Ostens, nähert man sich dem Ziel der Verheißung. Weswegen ich auch erst jetzt den schlichten Tiefsinn jener Anglermaxime begreife: Das größte Glück ist es, einen Fisch zu
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