Watermind
für kleine Mistdinger?« Blinzelnd betrachtete er durch das Okular die vereinnahmten Algenzellen. Sein Gesicht war schweißüberströmt, und hinter den dicken Brillengläsern glühten seine blauen Augen.
CJ hatte nur noch einen Reservekanister Treibstoff für das Boot, also stellte sie den Motor des Viper ab und ließ sich treiben, um ihren Vorrat zu schonen. Sie lag ausgestreckt auf der Sitzbank, beobachtete das Feldmessgerät und drückte ihr Handy ans Ohr, um dem undefinierten Rauschen der Mobilfunkgezeiten zu lauschen.
»Was hat Roman den Reportern für einen Mist erzählt?«, fragte sie.
»Hu, sie haben den toten Piloten gedisst«, antwortete Max. »Menschliches Versagen.«
CJ trat mit dem bloßen Fuß gegen das Steuerruder, und das Viper schaukelte in der Strömung. Ein abgestorbener dorniger Baum glitt auf sie zu, strandete auf einer Sandbank und wippte unter der Gewalt des Wassers auf und ab.
Max erzählte ihr, wie die Polizei von Baton Rouge die Absturzstelle abgesperrt hatte und ein Rettungsschiff eingetroffen war, dessen Flutlichter alles taghell erleuchtet hatten. Er berichtete auch, wie man Lady Yue auf einer Trage fortgebracht hatte. Sie sah schlecht aus, sagte Max, und CJ spürte Gewissensbisse.
»Das alles hätte ganz anders laufen können«, sagte sie, »wenn Roman keinen Angriff gestartet hätte.«
Wenn.
Wenn Harry seine Medikamente genommen hätte, wenn sie ein besseres Benehmen gehabt hätte, wenn sie in jener Nacht nicht wutentbrannt davongestürmt wäre, dann wäre Harry vielleicht noch am Leben.
Wenn seine Pistole nicht funktioniert hätte.
Wenn die Kugel sein Gehirn verfehlt hätte.
Auf dem einsamen Fluss erzählte sie Max von dem Bild, das sie in ihren Träumen verfolgte, die dunkelroten Tröpfchen auf der meergrünen Wand. Max ließ sie ohne Unterbrechung reden, während seine tröstenden Atemzüge wie Wellen im Handylautsprecher rauschten. Als sie schließlich alles gesagt hatte, was aus ihr herauswollte, rissen die Wolken auf und enthüllten einen zunehmenden Mond. Sie schob die nächste CD des Programms ein, und Schallwellen brachen sich im Wasser und wurden zu unheimlichen Schreien verzerrt. Eine Meile flussabwärts ließ ein Schleppkahn das Horn tuten.
»Der gelbe Mond ist der Saatmond«, sagte Max. »Manche nennen ihn auch Wiegenmond. Heute Nacht lieben sich die Leute, um Babys zu machen.«
»Hmpf!« CJ legte eine Hand auf ihren Unterleib und versuchte zu lachen. Sie fragte sich, ob Abtreibung in Louisiana immer noch legal war.
»Du willst keine moman sein?«, fragte Max.
Seine Worte ließen sie zusammenzucken. Sie hatte nie ein Foto der Frau gesehen, die ihr Vater geheiratet hatte. Harry hatte sämtliche Bilder der ersten Carolyn Joan vernichtet. Diese sogenannte Mutter hatte lediglich die Gebärmutter zur Verfügung gestellt, mehr nicht, eine sumpfige Brutstätte für zwei miteinander verschmolzene Chromosomensätze. Gleiches Blut, geschiedenes Wasser.
Sie überprüfte ihre Instrumente. Das elektromagnetische Feld wurde stärker – und es vergrößerte sich. Selbst auf dem tragbaren Gerät war die wechselhafte Gestalt deutlich zu erkennen. Sie glitt mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Strömung das Flussbett entlang, eine Kometenwolke aus angeregten Teilchen.
»Max, ich glaube …«
»Carolyn Reilly?«
CJ war überrascht, als eine andere Stimme in Max' Handy sprach. »Roman?«
»Ja, ich bin es. Ich habe Ihren Spion erwischt. Ich werde ihn feuern, Reilly, wenn Sie nicht zurückkommen.«
»Sie können nicht …«
Roman knurrte Max an. »Verschwinden Sie von diesem Schiff. Mir ist egal, wie Sie das machen.«
Max entgegnete nichts.
»Gehen Sie!«, schnaubte der Mann.
Max hätte Sacony am liebsten die Zähne eingeschlagen, aber der Gedanke an seine Tochter ließ ihn zögern. Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und trollte sich. Vielleicht war schon bald der Tag gekommen, an dem er sich diesem Mann aus Miami nicht mehr unterwerfen würde. Ceegie fand sein gehorsames Verhalten überhaupt nicht gut. Vielleicht hätte er ihm seine Faust zeigen sollen. Doch tief drinnen wusste Max, dass er sich selbst Ceegie zuliebe genauso wenig ändern konnte, wie er den Fluss der Zeit umkehren konnte.
An der Reling schlug er den Kragen hoch, um sich vor dem Wind zu schützen, und musterte das graue Wasser. Er versuchte einzuschätzen, wie weit er schwimmen konnte. Wohin war Rory mit ihrem Rennboot gefahren? Wie schnell würde er an ein anderes Telefon kommen? Er
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