WattenMord (German Edition)
zurückerobert. Das Grün der Weiden wirkte plötzlich saftiger und kräftiger, und die Kühe auf den Wiesen wirkten irgendwie glücklicher, fand Wiebke. Sie liebte das Gefühl der Freiheit, öffnete das Wagenfenster und sog die eindringende Luft tief in ihre Lungen ein. Ihre Gedanken kreisten um den Fall.
Der Tag hatte einen dringend Tatverdächtigen gebracht, der nun die Nacht in Untersuchungshaft verbringen musste. Zwar hatte Jörn Holst ihnen ein Alibi genannt, allerdings konnten sie ihm inzwischen nachweisen, dass er nicht die gesamte Nacht mit dem Callgirl verbracht hatte. Es stand nicht einmal fest, ob er überhaupt bis zum Frühstück im Hotel geblieben oder schon vorzeitig verschwunden war. Matthias Dierks hatte angeordnet, dass man das Material der Videoüberwachungsanlage sicherstellen und sichten sollte. So konnte unter Umständen dokumentiert werden, zu welcher Zeit Holst das Hotel verlassen hatte, nachdem Karin Vogt verschwunden war.
Das Smartphone des Toten hatte Dierks bei der KTU in Flensburg abgegeben; dort hatte man andere Möglichkeiten, dem Gerät mit viel Glück noch ein paar gespeicherte Daten zu entlocken.
Sogar zwei Kollegen aus Flensburg waren bei der Besprechung in der Polizeidirektion dabei gewesen. Sie hatten Heiners’ Frau aufgesucht, um ihr die Nachricht vom Tode ihres Mannes zu überbringen. Wie sie sagten, hatte Gabriele Heiners gefasst reagiert. Sie war nicht weinend zusammengebrochen, wie man es im Polizeiberuf immer wieder erlebte. An sich nichts Auffälliges, da sich die Verhaltensweisen Angehöriger mitunter weit voneinander unterschieden. Während einige unter Tränen zusammenbrachen, verhielten sich andere ungewöhnlich kühl und sachlich. Meist dauerte es bei diesen Zeitgenossen ein paar Tage, bis sie die Nachricht vom Tod eines nahestehenden Menschen realisiert hatten. Also: Nichts, was Gabriele Heiners in irgendeiner Weise verdächtig machte. An ein Verhör war jedoch nach Aussagen der Kollegen aus Flensburg noch nicht zu denken gewesen.
Katja Graf und Sven Gerke waren den ganzen Tag über damit beschäftigt, sich bei den Naturschützern umzuhören. Es hatte ein paar sehr vage Hinweise gegeben, welche aber alle bald schon im Sande verlaufen waren.
Während für den Ersten Kriminalhauptkommissar Matthias Dierks und Staatsanwalt Mahndorf feststand, dass Jörn Holst hinter dem Mord an Holger Heiners steckte, plagten Wiebke noch immer Zweifel. Es war nichts als ein dumpfes Gefühl, das sie nicht erklären konnte, aber sie wollte nicht hinnehmen, dass man unterließ, auch die anderen Tatverdächtigen zu durchleuchten.
Einer von ihnen war Torben Schäfer. Ein Mann wie ein Bär, groß und stark. Rein körperlich war der Biologielehrer der Hermann-Tast-Schule sicherlich in der Lage, Holger Heiners zu überwältigen.
Und somit hätte er seinen ärgsten Feind nur allzu gern aus dem Weg geräumt und das Bauprojekt am Dockkoog verhindert. Insofern gab es ein berechtigtes Interesse für Schäfer, Heiners zu töten. Doch war ein Mensch, der eine Bürgerinitiative gründete und sich aktiv für den Umweltschutz einsetzte, auch in der Lage, einen Mord zu begehen? Wiebke konnte es sich nicht vorstellen. Torben Schäfer war vielleicht etwas verrückt, wenn es um seine Belange als Umweltschützer und Biologe ging, aber einen Menschen umzubringen … nein, das passte nicht zu dem rührseligen Lehrer. Wiebke nahm sich vor, am Abend zu recherchieren. Als Gründer der Bürgerinitiative „Rettet den Dockkoog“ gab es bestimmt Beiträge im Internet und in diversen Zeitungen über Schäfer. Immerhin erhitzten sich seit einiger Zeit die Gemüter am Dockkoog und an den bevorstehenden Veränderungen. Wenn überhaupt, gab es vielleicht einen militanten Anhänger der Bürgerinitiative. Dies müsste herauszufinden sein, überlegte Wiebke. Als sie daran dachte, dass morgen eine Sisyphusarbeit anstand, verschlechterte sich ihre Laune.
Erst am Ortseingang von Ostenfeld atmete sie wieder tief durch. Es war höchste Zeit, den Job auszublenden. Ein paar Stunden blieben ihr, um Kraft zu tanken für den nächsten Tag.
Wiebke nahm die Einfahrt zum Grundstück ihrer Vermieter an der Hauptstraße und spürte, dass heute irgendetwas anders war. Nachdem sie den alten Passat an seinen Platz gestellt hatte und ausgestiegen war, holte sie tief Luft. Sie blickte sich aufmerksam um. Offensichtliche Veränderungen hatte es jedenfalls nicht gegeben. Sie klimperte mit dem Schlüssel und schloss den Wagen
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