Waylander der Graue
Leben zu genießen.«
Arics Kopf schien bersten zu wollen. Er presste die Hände auf die Schläfen. »Hör auf, Chardyn. Du bringst mich um! Mein Kopf brennt wie Feuer.«
»Ich möchte, dass du an Zarea und jenen Tag am See denkst«, sagte Chardyn. »Ich möchte, dass du diese Erinnerung ganz festhältst, ihre kleinen Arme um deinen Hals spürst, den Klang ihres glücklichen kindlichen Lachens in deinen Ohren. Kannst du sie hören, Aric? Kannst du das?«
»Ich höre sie.«
»Kurz bevor wir alle hineingingen, hat sie sich an dich gekuschelt. Sie sagte etwas zu dir. Weißt du es noch?«
»Ja.«
»Dann sag es.«
»Ich will nicht.«
»Sag es, Aric.«
»Sie sagte: ›Ich liebe dich, Papa‹.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Ich sagte ihr, dass ich sie auch liebte.« Aric gab ein Stöhnen von sich und fiel nach hinten, die Augen fest zugekniffen. »Ich kann nicht denken … dieser Schmerz!«
»Das ist der Zauber, der auf dir liegt, Aric. Er will dich davon abhalten, dich zu erinnern. Möchtest du dich daran erinnern, wie es sich anfühlte, menschlich zu sein?«
»Ja!«
Chardyn öffnete seinen Kragen und hob das goldene Halsband heraus, das er trug. Ein Talisman hing daran, ein Stück aus Jade in Form einer Träne. In die Oberfläche waren Runen eingeritzt. »Dies trägt den Segen des Abtes Dardalion«, sagte Chardyn. »Es soll Zauber abwehren und Krankheiten heilen. Ich weiß nicht, ob ihm wirklich magische Kräfte innewohnen oder ob es einfach nur ein Schmuckstück ist. Aber wenn du willst, lege ich es dir um den Hals.«
Aric starrte das Jadestück an. Ein Teil von ihm wollte es von sich stoßen, seinen Dolch in die bärtige Kehle des Priesters rammen. Ein anderer Teil wollte sich daran erinnern, was es für ein Gefühl gewesen war, als seine Tochter ihm sagte, sie liebe ihn. Er saß ganz still, dann sah er Chardyn in die Augen. »Hilf mir!«, bat er. Chardyn legte Aric das Halsband um.
Nichts geschah. Der Schmerz flammte erneut auf, machte ihn fast blind, und er schrie auf. Er fühlte, wie Chardyn seine Hand nahm und sie an die Jadeträne legte. »Halte es fest«, sagte der Priester. »Und denk an Zarea.«
Ich liebe dich, Papa!
Von tief unterhalb des Schmerzes kam eine Woge von Gefühlen und überschwemmte Aric. Er fühlte wieder die Arme seiner Tochter um seinen Hals, ihr weiches Haar an seiner Wange. Für einen Augenblick erfüllte ihn reine Freude. Dann sah er sich selbst an dem Bett des kleinen Mädchens stehen, voller Wonne über den Raub ihrer Lebenskraft. Er schrie auf und begann zu schluchzen. Lalitia und Chardyn saßen schweigend dabei, als der Edelmann weinte. Langsam verebbten die Schluchzer. Aric stöhnte auf und schnappte plötzlich den Dolch und richtete die Spitze gegen seine Kehle. Chardyn packte Aric am Handgelenk.
»Nein!«, rief der Priester. »Nicht so, Aric! Du warst schwach, ja, dass du solche Gaben begehrtest. Aber nicht du hast deine Frau getötet. Nicht dein wahres Ich. Du standest unter einem Bann. Verstehst du denn nicht? Sie haben dich benutzt.«
»Ich stand dabei und lachte, als Aldania starb«, sagte Aric mit zitternder Stimme. »Ich hatte Spaß an dem blutigen Töten. Und ich habe Rena und Zarea umgebracht.«
»Nicht du, Aric«, wiederholte Chardyn. »Der Magier ist der eigentliche Böse. Leg den Dolch hin und hilf uns, einen Weg zu finden, ihn zu vernichten.«
Aric entspannte sich, und Chardyn ließ seine Hand los. Der Graf von Kilraith stand langsam auf und wandte sich an Lalitia. »Es tut mir so Leid, Rotschopf«, sagte er. »Bei dir kann ich mich wenigstens entschuldigen. Die anderen kann ich nie mehr um Verzeihung bitten.« Er fuhr zu Chardyn herum. »Ich danke dir, Priester, dass du mir zurückgegeben hast, was mir geraubt wurde. Doch ich kann dir nicht helfen. Meine Schuld ist zu groß.« Chardyn wollte etwas erwidern, doch Aric hob die Hand. »Ich höre, was du über Eldicar sagst, und es liegt Wahrheit darin. Aber ich hatte die Wahl. Ich ließ zu, dass er einen Mann tötete, um meine Eitelkeit zu nähren. Wäre ich stärker gewesen, wären meine Rena und meine kleine Zarea noch am Leben. Ich kann so nicht weiterleben.«
Er ging an ihnen vorbei zur Tür und öffnete sie. Ohne sich noch einmal umzublicken, ging er hinaus in die Nacht. Er stieg in seine Kutsche und ließ sich zum Weidensee fahren.
Dort entließ er den Kutscher und ging an dem verlassenen Landhaus vorbei an das monderhellte Ufer. Er setzte sich hin und dachte an den herrlichen Tag, als er
Weitere Kostenlose Bücher