Waylander der Graue
hundert Laternen funkelten, perlenbestickte Kleider und silbergesäumte Tuniken, glitzernde Tiaren und selbst Schuhe, die mit Rubinen, Smaragden und Diamanten besetzt waren.
Einjunger Adliger blieb mit seiner Dame vor ihr stehen. Der Mann trug einen kurzen, mit Zobel verbrämten Umhang über einem roten Seidenjackett, das mit Goldfäden bestickt war. Er streckte die Hand aus und nahm eine Pastete. »Die sind köstlich. Du solltest sie versuchen, mein Herz«, sagte er zu der Frau an seiner Seite.
»Ich probiere ein Stückchen von deiner«, sagte sie. Ihr weißes Seidenkleid raschelte, als sie sich zu ihrem Liebhaber vorbeugte. Er grinste sie an und nahm einen Bissen Pastete zwischen die Zähne. Sie lachte und nahm sie ihm mit einem Kuss ab.
Keeva stand ganz still, plötzlich gewahr, dass sie für die beiden praktisch unsichtbar war. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Nicht einmal streifte sie ein Blick der beiden, die sich jetzt unter die Gäste mischten, ohne von ihr überhaupt Notiz genommen zu haben. Andere Gäste strömten vorüber, einige blieben stehen, um eine Pastete zu nehmen, andere gingen weiter zur Tanzfläche. Mit leerem Tablett ging Keeva an der Wand entlang und die kurze Treppe zu der lang gestreckten Küche hinunter.
Norda war dort und füllte Kelche mit gutem Wein auf. »Wann kommt der Graue Mann?«, fragte Keeva.
»Später«, antwortete sie.
»Aber es ist sein Fest.«
»Er ist schon hier«, sagte Norda. »Hast du nicht den ständigen Strom von Menschen bemerkt, die zu der kleinen Halle gehen?«
Keeva hatte es bemerkt, sich aber nichts dabei gedacht. Der junge Sergeant Emrin war an der rückwärtigen Tür postiert, und Keeva war entschlossen, sich nicht dabei erwischen zu lassen, wie sie zu ihm hinsah. Sie wollte ihm keinen Anlass geben, sein Interesse an ihr weiter zu verfolgen.
»Die meisten der Adligen und Kaufleute, die heute Abend hier sind, wollen irgendetwas von dem Gentleman«, sagte Norda. »Also sitzt er die ersten drei Stunden im Walnusszimmer und empfängt sie. Omri ist bei ihm und schreibt ihre Bitten auf.«
»So viele Menschen, die um einen Gefallen bitten«, sagte Keeva. »Er muss sehr beliebt sein.«
Norda lachte auf. »Dummkopf«, sagte sie, nahm ihr Tablett und ging zur Treppe. Keeva war verwirrt. Sie blickte sich um und sah, dass ein paar der anderen Mädchen lächelten. Verlegen, wenn sie auch nicht wusste, weshalb, füllte Keeva ihr Tablett wieder auf und kehrte in den Großen Saal zurück.
Zwanzig Musiker spielten jetzt auf. Ihre Musik war schnell und lebhaft, und die Tänzer wirbelten über den polierten Fußboden. Es war warm in der Halle, aber sämtliche Flügeltüren zur Terrasse standen offen, und ein frischer Wind vom Meer wehte herein.
Es wurde noch eine Stunde weitergetanzt, und die Halle war erfüllt von Musik und Lachen. Keevas Arme begannen vom Halten des Tabletts zu schmerzen. Jetzt nahmen nur noch wenige Leute etwas zu essen. Norda schlängelte sich vorsichtig durch die Halle. »Zeit, das Tablett gegen Erfrischungen einzutauschen«, sagte sie.
Keeva folgte ihr nach unten. »Warum hast du mich Dummkopf genannt?«, fragte sie, als die blonde Frau begann, Kristallgläser mit Wein zu füllen.
»Er ist nicht beliebt«, antwortete Norda. »Sie hassen ihn alle.«
»Aber wieso, wenn er ihnen doch einen Gefallen tut?«
»Genau deswegen. Weißt du denn gar nichts über den Adel?«
»Offensichtlich nicht.«
Norda hielt in ihrer Arbeit inne. »Er ist Ausländer und ungemein reich. Sie beneiden ihn, und Neid führt immer zu Hass. Es spielt keine Rolle, was er tut, sie werden ihn immer hassen. Im vergangenen Jahr, als im Osten die Ernte vernichtet wurde, schickte der Gentleman zweihundert Tonnen Getreide, das an die Hungernden verteilt werden sollte. Eine gute Tat, oder?«
»Selbstverständlich.«
»Nun, diese gute Tat verhinderte, dass der Marktpreis für Getreide in die Höhe schnellte, und verringerte so den Gewinn, den die Adligen und Kaufleute hätten machen können. Glaubst du etwa, dafür wären sie ihm dankbar?« Norda lächelte. »Du wirst es noch lernen, Keeva. Der Adel ist eine andere Sorte Mensch.« Ihr Lächeln verblasste, und ihre Augen wurden kalt und zornig. »Ich würde nicht mal auf einen pinkeln, wenn er in Flammen stünde.«
»Ich kenne keinen«, sagte Keeva.
»Dann belass es am besten dabei«, erwiderte Norda etwas sanfter. »Sie bringen nichts als Kummer über unsereins. Wir gehen besser zurück.«
Mit einem Tablett voll Getränken
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