Weg der Träume
zugestoßen war.
Aber wenn sie es ihm erzählte, was dann? Würde Miles Brians Geschichte einfach glauben und es dabei bewenden lassen? Wohl kaum. Brian hatte das Gesetz gebrochen, und sobald dies an die Öffentlichkeit gelangte, würde Brian verhaftet werden, und ihre Eltern wären am Boden zerstört. Miles würde kein Wort mehr mit ihr wechseln, und sie würde den Mann verlieren, den sie liebte.
Sarah schloss die Augen. Die Wahrheit wäre erträglicher, wenn sie Miles nie kennen gelernt hätte.
Aber sich verlieben und ihn dann wieder verlieren? Und was war mit Brian?
Die Traurigkeit überwältigte sie fast.
Sie stand auf, schlüpfte in ihre Hausschuhe und ging ins Wohnzimmer, auf der Suche nach Ablenkung. Aber sogar dort erinnerte sie alles an die Vergangenheit, und plötzlich wusste sie genau, was sie zu tun hatte. So schmerzlich es auch sein würde, es führte kein Weg daran vorbei.
Als das Telefon am nächsten Morgen klingelte, wusste Brian, dass es Sarah war. Er hatte den Anruf erwartet und griff vor seiner Mutter nach dem Hörer.
Sarah kam gleich zur Sache. Brian hörte schweigend zu. Am Ende sagte er nur ja. Kurz darauf ging er zu seinem Wagen, und seine Schritte hinterließen Abdrücke im Schnee.
Er konzentrierte sich nicht auf die Fahrt, sondern dachte darüber nach, was er seiner Schwester am Tag zuvor gebeichtet hatte. Sarah würde sein Geheimnis nicht für sich behalten, das war ihm von Anfang an klar gewesen. Trotz ihrer Sorge um ihn und um die gemeinsame Zukunft mit Miles würde sie wollen, dass er sich stellte. Seine Schwester wusste, wie es war, verraten zu werden, und Schweigen war der schlimmste Verrat von allen.
Exakt aus diesem Grund habe ich es gerade ihr erzählt, dachte er.
Brian entdeckte sie vor der Episkopalkirche, die er zu Missys Beerdigung aufgesucht hatte. Sarah saß auf einer Bank, von der aus man auf einen kleinen Friedhof blickte, der so alt war, dass die Schrift auf den meisten Grabsteinen im Laufe der Jahrhunderte verwittert war. Sie wirkte verloren und einsam, so wie er sie bis dahin nur einmal erlebt hatte.
Sarah hatte ihn kommen sehen, aber sie winkte nicht. Brian setzte sich neben sie.
Sie musste sich krank gemeldet haben. In der Schule fingen die Ferien erst eine Woche später an. Er fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn er an Thanksgiving nicht nach Hause gefahren wäre und Miles im Haus seiner Eltern getroffen hätte. Oder wenn Otis nicht verhaftet worden wäre.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, flüsterte sie endlich.
»Es tut mir so Leid«, erwiderte er leise.
»Das hoffe ich auch.«
Brian registrierte die Bitterkeit in ihrer Stimme.
»Ich will nicht wieder von vorn anfangen, aber ich muss wissen, ob du mir wirklich die Wahrheit gesagt hast.«
Sie sah ihn an. Ihre Wangen waren durch die Kälte gerötet, als hätte jemand sie geschlagen.
»Ja.«
»War es wirklich ein Unfall?«
»Ja«, wiederholte er.
Sie nickte, aber seine Antwort schien sie nicht zufrieden zu stellen.
»Warum hast du es mir nicht erzählt?«, fragte sie schließlich.
»Gleich damals, meine ich.«
»Ich konnte es nicht«, erwiderte Brian. Am Tag zuvor hatte sie die gleiche Frage gestellt, und er hatte ihr die gleiche Antwort gegeben.
Sie schwieg für eine Weile. »Du musst es ihm selbst sagen«, flüsterte sie, den Blick auf die Grabsteine gerichtet.
»Ich weiß«, erwiderte er.
Sie senkte den Kopf, und Brian glaubte Tränen in ihren Augen zu erkennen. Sie machte sich Sorgen um ihn, aber das war nicht der Grund für die Tränen. Sie weinte um sich selbst.
Sarah fuhr mit Brian zu Miles nach Hause. Während der Fahrt starrte Brian aus dem Fenster. Das gleichförmige Vibrieren des Wagens wirkte fast einschläfernd, aber Brian hatte überraschend wenig Angst vor dem Kommenden. Seine Angst hatte sich auf seine Schwester übertragen.
Sie überquerten die Brücke, bogen in Madame Moore's Lane ein und fo lgten ihren Windungen bis zu Miles' Auffahrt. Sarah parkte neben seinem Wagen und stellte die Zündung ab. Das Motorgeräusch erstarb.
Sie stieg nicht gleich aus, sondern holte tief Luft und sah Brian an. Ihre Lippen verzogen sich zu einem ermutigenden Läche ln, das schnell wieder verschwand. Sie legte die Schlüssel in die Handtasche, und Brian drückte die Tür auf. Gemeinsam gingen sie auf das Haus zu.
Sarah zögerte vor der Treppe, und Brian warf einen verstohlenen Blick zur Ecke der Veranda, auf der er so häufig gestanden hatte. Er würde Miles von seiner Tat
Weitere Kostenlose Bücher