Wege im Sand
Klippen sitzt und die Männer anlockt … aber es ist immer dein Schiff, das zerschellt.«
Sie wandte den Blick ab, weil er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. »Ist Aida schon auf?« Sie küsste ihn auf die Wange, dann rappelte sie sich hoch.
»Natürlich«, sagte er. »Manchmal denke ich, dass sie niemals schläft.«
»Bis später, Henry.«
Er salutierte, als er ihr nachsah.
Die Tür war offen, und Stevie betrat das Haus. Aida malte bereits. Sie spannte ihre eigenen Leinwände, dieses Mal ein sechs mal sechs Meter großer Keilrahmen, fast so großflächig wie das Panoramafenster, das zur Nordseite hinausging. Stevie blieb in einiger Entfernung stehen und begutachtete das Werk, das neueste in der Strandserie: die obere Hälfte war hellgrau, die untere dunkelblau. Die Linie, an der sie zusammentrafen, glich einem Horizont.
»Wie geht es dir, Kind?«, fragte Aida, ohne sich umzudrehen.
»Ich brauche die Gesellschaft einer weisen Tante.«
Aida lachte. »Und da kommst du zu mir?«
Stevie umarmte sie. Ihre Tante war groß, wie ihr Vater. Sie trug ein rotes, nach hinten gebundenes Kopftuch über den kurzen lockigen weißen Haaren und einen Malerkittel über einem Overall aus Baumwolldrillich. Ihre Nägel waren kurz und rissig, mit Ölfarbe verschmiert.
»Kaffee steht auf dem Ofen.«
»Danke.« Stevie füllte den Cushing-Becher ihrer Tante nach – ein Tribut an das letzte Schiff, auf dem ihr Stiefsohn gedient hatte. Dann schenkte sie sich selbst ein. Die beiden Frauen nahmen an dem alten Kieferntisch Platz, tranken ihren Kaffee. Die Fenster des Cottage standen weit offen, und eine nach Salz und Kiefern duftende Brise wehte herein.
»Was führt dich so früh hierher?« fragte Aida.
»Ich versuche, mir über einige Dinge klar zu werden. Ich hatte letzte Woche zwei Besucher. Sie sind mir beide … unter die Haut gegangen.«
»Hmm«, sagte ihre Tante, das Gemälde musternd.
»Der eine war ein kleines Mädchen, Nell. Sie ist die Tochter einer lieben alten Freundin … Emma. Sie hat mir erzählt, dass Emma nicht mehr lebt.«
»Oh nein.« Aida sah Stevie an.
»Doch. Ich kann es kaum glauben – es kommt mir so vor, als wären wir gerade erst schwimmen gegangen, hätten im Sand gelegen und uns ein wunderbares Leben ausgemalt …«
»So jung … so früh«, murmelte Aida.
»Es ist schrecklich. Sie starb bei einem Autounfall – und die Dritte im Bunde, Emmas Schwägerin Madeleine, saß am Steuer.«
»Wie furchtbar für Madeleine!«
»Ich weiß. Ich mag es mir gar nicht erst vorstellen.«
Sie saßen eine Zeit lang schweigend da. Stevie betrachtete das neue Bild, die blassen Vierecke. Sollten sie Meer und Himmel oder Sand und Meer darstellen? Sie hatte keine Ahnung, und es war auch nicht wichtig: Es löste auch so das beruhigende Gefühl in ihr aus, am Strand zu sein.
»Emma hatte viel Glück im Leben«, sagte Stevie. »Ihre Tochter ist genau wie sie – klug und hübsch, neugierig auf das Leben. Sie wollte mich kennen lernen, weil ich die Freundin ihrer Mutter war; sie kam einfach den Hügel hinauf und stellte sich vor.«
»Dazu gehört Mut«, sagte Tante Aida, ohne eine Miene zu verziehen.
»Was meinst du damit?«
»Nun, da ist zum einen dieses Schild. Es jagt allen, die sich deinem Haus nähern wollen, eine Heidenangst ein. Aber das ist natürlich auch der Sinn der Sache, oder?«
Stevie antwortete nicht. Sie wusste, dass sie die Leute dadurch vertrieb – was ihrer Absicht entsprach. Dadurch bewahrte sie sich ihre Freiheit, schützte sich vor Fehlern, verhinderte, dass sie verletzt wurde oder andere verletzte. »Nun«, sagte sie schließlich. »Nell hat es geschafft, an dem Schild vorbeizukommen. Und ich habe sie und ihren Vater vergangene Woche zum Essen eingeladen.«
»Nett von dir.«
»Alles ging gut – außer gegen Ende des Abends, als ich erwähnte, dass ich Madeleine gerne wiedersehen würde, das kam überhaupt nicht gut an. Jack – Nells Vater – will nichts mit ihr zu tun haben. Und sie ist seine Schwester!«
Tante Aida legte den Kopf zur Seite, als würde sie das verstehen. Stevie starrte sie an.
»Sie ist seine Schwester – wie kann er sie einfach abschreiben, so mir nichts, dir nichts?«
»Du bist ein Einzelkind, Liebes.«
»Was hat denn das damit zu tun?«
Tante Aida holte tief Luft und blickte ihre Meerlandschaft an, als wollte sie Kraft daraus schöpfen, dann sah sie Stevie in die Augen. »Ich hatte mir immer gewünscht, deinen Eltern wäre noch ein weiteres
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