Weiberabend: Roman (German Edition)
vorbeischaust? Ich kann auch nicht über Nacht bleiben – du könntest doch für eine Stunde herkommen, und dann mit mir wieder gehen … okay?«
Tam lächelt und sagt: »Dann bis gleich.« Sie gibt mir das Telefon zurück. »Ich glaube, sie kommt. Die Ärmste. Sie braucht weiß Gott mal eine Abwechslung. Dringender als wir alle.«
***
CJ und Dooly treffen zusammen ein. Als ich die Tür öffne, sind sie schon in eine Unterhaltung vertieft. »… hat Celine das Haus anscheinend sehr gefallen, aber es hat ein Schlafzimmer zu wenig, deswegen wollen sie sich jetzt ein Angebot für einen Umbau machen lassen …«
»Kommt rein, Mädels«, sage ich und umarme die beiden. CJ drückt mich an sich, Dooly nicht, denn der öffentliche Austausch von Zärtlichkeiten ist ihr unangenehm.
Dooly trägt einen flauschigen, orangefarbenen Schal um den Hals und fängt sofort an, sich zu entschuldigen. Weil sie zu spät kommt. Weil sie nichts vorbereitet hat. Weil sie meine beiden letzten E-Mails nicht beantwortet hat. Ihre gebeugten Schultern, das zu einem einfachen Pferdeschwanz zurückgebundene dünne Haar und der Pulli mit dem Aufdruck »ACF – Medizinische Hilfe, der Sie vertrauen können« bilden ein blasses Mosaik ihres greulich häuslichen Lebens. Sie könnte wirklich mal eine Stilberatung gebrauchen, jemanden, der an ihrer Garderobe herumzupft und ihr eine anständige Frisur und eine Gesichtsbehandlung verordnet. Ich habe immer das Gefühl, dass Dooly im Gegensatz zu Helen, der ihre äußere Erscheinung völlig egal ist, schon gern mehr aus sich machen würde, aber einfach nie dazu kommt. Mit ihrem Sozialarbeits-Job vier Vormittage die Woche, ihren beiden Söhnen, dem bipolaren Max und den ganzen verdammten überflüssigen Haustieren ist sie die am meisten beschäftigte Person, die ich kenne. Sie kommt nie dazu, zurückzurufen, sich mit mir auf einen Kaffee zu treffen, spazieren zu gehen, mit ins Kino zu kommen oder sonst irgendetwas für sich selbst zu tun. Sie ist obendrein die miserabelste Köchin, die mir je untergekommen ist. Eine Einladung zum Abendessen bei ihr zu Hause anzunehmen, fällt mir wirklich schwer – sie benutzt praktisch kein Salz, und wenn irgendetwas nicht trocken und lederartig ist, geht sie davon aus, es sei »nicht durch«. Wenn wir doch bei ihr essen, biete ich ihr oft an, mindestens zwei der geplanten Gänge zu übernehmen, und glücklicherweise ist sie damit meistens einverstanden.
Ihr Mann Max ist Rechtsanwalt (oder vielleicht sollte man richtiger sagen, er war Anwalt). Seine bipolare Störung wurde, glaube ich, schon diagnostiziert, bevor sie geheiratet haben. Aber wie die meisten von uns hat sie wohl die unübersehbaren Vorzeichen dafür, dass ihr Leben nicht märchenhaft glücklich sein würde, lieber ignoriert. Oder sie hat sich von Anfang an stillschweigend mit ihrer Rolle als Pflegerin eines psychisch Kranken abgefunden. Es ist schwierig, sie nicht zu bedauern, aber man könnte auch sagen: Wie man sich bettet, so liegt man.
Manchmal geht es Max so schlecht, dass er morgens nicht einmal aufstehen, geschweige denn in die Kanzlei gehen kann. Und das Ganze hat eine Art Schneeball-Effekt – je düsterer seine Stimmung und je niedriger sein Selbstvertrauen, desto weniger Steuersünder, Unterhalts-Drückeberger und Kleinkriminelle, die einen Top-Anwalt suchen, stehen bei ihm Schlange. Dooly und Max geht es finanziell sehr schlecht, das wissen wir alle, obwohl sie nie darüber spricht. Deshalb ist es mir unangenehm, dass sie diesen Rieseneimer Schokolade mitgebracht hat – er muss mindestens fünfzig Dollar gekostet haben. Vor einer Weile hat uns Tam von neuen Forschungsergebnissen erzählt, die darauf hindeuten, dass Schokolade die Ausschüttung von Endorphinen bewirkt, die uns fröhlich machen. Seitdem isst Dooly praktisch zu jeder Mahlzeit Schokolade, was auch erklärt, warum das Prozac sie noch nicht rappeldürr verschlankt hat. Ich weiß nicht recht, wie fröhlich sie durch die viele Schokolade wirklich ist. Ich glaube, sie kommt über den Schock von letztem Jahr nicht hinweg. Ich weiß noch, wie ich im Krankenhaus saß und ihre Hand hielt, am Tag, nachdem es passiert war, und sie über nichts anderes sprechen konnte als darüber, wer jetzt den Mäusekäfig sauber machen würde. Unablässig liefen ihr die Tränen über die Wangen, während sie immer wieder fragte: »Wer wird bloß daran denken, diesen Käfig sauber zu machen?« Ich fühlte mich ein bisschen mies, weil ich es nicht
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