Weiberabend: Roman (German Edition)
kleinen Kernfamilie schrecklich allein fühle, niedergedrückt von der Verantwortung für das Wohl meiner Kinder, ihre Ernährung und ihre emotionale, spirituelle und moralische Erziehung betreffend – aber ich bin nicht allein in meiner Einsamkeit. Unsere persönlichen Traumata isolieren uns und geben uns das Gefühl, von der restlichen Welt abgeschnitten zu sein. Aber ich weiß jetzt, dass diese Traumata in Wahrheit universelle Zustände sind und dass uns nur geschlossene Türen von einem Gefühl der Gemeinschaft abschneiden. Und von der Erkenntnis, dass wir alle durch den Klettstreifen der Mutterschaft miteinander verbunden sind. Mir ist jetzt klar, dass Mutterschaft auch ein brisantes politisches Terrain ist, auf dem viele von uns unwissentlich, aber dennoch unbestreitbar Mythen über das Muttersein am Leben erhalten. Aber ich weiß auch, dass wir alle insgeheim davon träumen, die Ungerechtigkeit mit dem Vorschlaghammer aus diesen Mythen herauszuprügeln. Oder sie in Fitzelchen zu zerhacken, mit einem skalpellscharfen Victorinox-Messer, das schneidet wie ein Traum.
3 Um der Kinder willen
D en Mittelpunkt des Esszimmertischs, der mit einem meiner fuchsiaroten Saris bedeckt ist, bildet eine fayanza. Was zum Kuckuck ist eine fayanza, denkst du jetzt wahrscheinlich. Eine fayanza ist ein prächtiges Symbol der Großzügigkeit und Gastfreundschaft, erfunden von den Griechen. Das ist eine Servierplatte von der Art, die man braucht, wenn man besonders viele Gäste hat – die Sorte Platten, die der Party-Service benutzt und die zu Anlässen wie Hochzeiten und Bar-Mizwas aus dem Schrank geholt werden. Liz und Carl haben mir diese wunderschöne weiße Platte zur Hochzeit geschenkt. Carl ist Grieche und hat das Leben seiner Kinder nicht nur mit seinem exotischen Nachnamen bereichert (Chloe und Brandon Stern-Nikolaos), sondern auch meiner Küchenausstattung diesen mediterranen Touch verliehen. Anscheinend besitzt jede gute griechische Ehefrau eine fayanza. »Die sechs, die ich zur Hochzeit bekommen habe, verstauben ganz hinten in meiner Speisekammer«, hat Liz mir einmal eingestanden. Aber sie hat mir nie welche davon angeboten, obwohl sie weiß, dass sie in meiner Küche des Öfteren zum Einsatz kämen.
Heute Abend bildet meine fayanza die Leinwand für eines meiner Meisterwerke in Salat. In manchen Dingen bin ich schüchtern, aber trotz aller Bescheidenheit muss ich sagen, dass ich niemanden kenne, der einen besseren Salat machen kann als ich – nicht einmal Helen. Unter dem Strich sieht es bei Salaten so aus: Man hat es, oder man hat es nicht. Das ist wie blaue Augen. Schlanke Gene. Rhythmusgefühl. Man kann keinen Salat machen, indem man einfach ein Rezept befolgt. Genau wie Mutterliebe, ist auch Salatmachen purer Instinkt. Wenn ich Helen sage, es gehöre »ein Hauch Paprika« dran, fragt sie: »Ein Teelöffel?« »Nein, ein Hauch«, sage ich. Und dann stemmt sie die Hände in die Hüften und sieht mich mit diesem Blick an. Sie begreift die Welt nur in messbaren Mengen, glaubt nicht an Gott und hält Astrologie für ganz großen Quatsch. Die spirituelle Erziehung ihrer Kinder hat sie ganz offiziell an mich delegiert. »Erzähl ihnen nur keine Lügen«, sagt sie.
»Ihnen zu erzählen, dass es einen Gott gibt, ist keine Lüge«, sage ich.
»Wenn du es nicht beweisen kannst, ist es gelogen«, sagt sie.
Ich habe ihr bis heute nicht verziehen, dass sie Nathan erklärt hat, es gebe keine Zahnfee, als er sie danach gefragt hat. »Was hätte ich denn tun sollen? Er hat mich gebeten, ihm die Wahrheit zu sagen.« Das und ihre Abneigung gegen Koriander, ihre seltsamen Maßstäbe dafür, was richtig ist, und ihre Fähigkeit, die Welt in öder Präzision auf die vier Himmelsrichtungen zu beschränken, sind so ziemlich ihre einzigen Fehler.
In der Mitte der fayanza liegen fünfzehn dicke, dunkelrote Baby-Rote-Bete-Scheiben. Ringsherum breiten sich hauchdünn geschnittene Avocado-Fächer aus. Um es in einen meiner Salate zu schaffen, darf eine Avocado nicht einmal einen Ansatz von Matschigkeit zeigen, sie muss schön fest sein und diese nussig-gelbe Aloe-Farbe haben. Einer Avocado, die hinter diesen Kriterien zurückbleibt, steht ein Guacamole-Schicksal bevor, das einen solchen Mangel an Perfektion großzügig verzeiht. Dann kommt ein Kreis aus leicht angebräuntem Kürbis, beträufelt mit Olivenöl, extra vergine, und etwas frischem Zitronenthymian. Ein Ring Rucola, unbekümmert und würzig, breitet als Nächstes seine
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