Weiberabend: Roman (German Edition)
gut«, sage ich, jetzt ganz leise. »Aber es wissen sowieso alle, dass er dein Liebling ist.«
»Ist er das?«, fragt Tam ungläubig.
Helen hat mir gegenüber nie tatsächlich geäußert, dass Cameron ihr Liebling ist, aber ich weiß es – vielleicht, weil er ihr Baby ist (zumindest vorerst), oder weil er gerade eine besonders liebenswerte Phase durchmacht und für einen Dreijährigen ganz erstaunliche Fragen stellt, zum Beispiel: »Mama, faltet man Toilettenpapier, oder knäult man es zusammen?« Vielleicht liegt es daran, dass Sarah gerade im Trotzalter ist und Nathan zu Depressionen neigt und zu viel isst. Helen strahlt förmlich, wenn Cameron in der Nähe ist. Das ist doch keine Sünde?
»Na und?«, sagt CJ. »Liam ist mein Liebling. Das ist kein Geheimnis. Die Mädchen sind so zickig und nervtötend, und Liam so lieb und anhänglich. Ich vergöttere ihn eben«, sagt sie. »Und ich weiß, dass er sich für mich stark macht, wenn DVS mich bei den Kindern schlechtmachen will.«
»Na ja, ihr könnt ja eure Lieblinge haben, wenn ihr wollt, aber ich bevorzuge keines meiner Kinder«, sagt Helen.
»Ich habe auch einen Liebling«, sagt Fiona.
»Du hast leicht reden«, erwidert Dooly lächelnd.
»Ich bevorzuge ihn ja nicht«, sagt CJ, die das Gefühl hat, sich verteidigen zu müssen. »Ich liebe alle meine Kinder gleichermaßen – jedes auf seine Weise. Aber ich mag Liam als Mensch lieber als die anderen.«
»Kinder spüren so etwas, auch unbewusst, und das kann starke Rivalität unter Geschwistern auslösen«, sagt Tam.
»Gefühle kann man niemandem vorschreiben«, sagt CJ.
»Ich bin sicher, dass sich jedes Kind ab und zu vorkommt wie das Aschenputtel, das zu Hause schuften muss, während die anderen zum Ball gehen dürfen«, merkt Dooly an. »Das ist ganz normal, oder?«
»Ich sage meinen Kindern immer, dass ich sie alle gleich lieb habe«, fügt CJ hinzu.
»Solange sie nicht merken, dass du eines von ihnen bevorzugst, ist es also in Ordnung, ein Lieblingskind zu haben?«, fragt Liz.
»Ich kann doch an meinen Gefühlen nichts ändern«, erwidert CJ gereizt.
»Ein Lieblingskind zu haben, ist ein großes Tabu«, sagt Ereka. »Aber wir haben alle schon einmal so empfunden.«
»Ich nicht«, sagt Tam.
»Ich finde diese Sache extrem schwierig«, sagt Dooly leise. »Erinnert ihr euch an Sophies Entscheidung? Stellt euch nur vor, ihr müsstet entscheiden, welches Kind ihr rettet und welches ihr opfert.«
Wir winden uns alle sichtlich.
»Ja, für wen würde man sich entscheiden?«, fragt Fiona leise. »Für das Kind, mit dem man sich am besten versteht? Oder fühlt man sich dem anderen gegenüber so schuldig, dass man genau das Gegenteil tut?«
»Oder wählt man das Kind, das einen am meisten braucht?«, fragt Ereka.
Stumm denken wir, jede für sich, über dieses Dilemma nach.
»Zum Glück müssen wir so was nicht entscheiden«, sagt Helen schließlich. »Solange wir sie fair behandeln, spielt der Rest keine Rolle.«
Mit dieser Zusammenfassung können wir alle leben und nicken zustimmend.
Doch trotz Helens tröstlicher Behauptung harrt die Ironie im Zentrum dieses Problems aus wie eine zerbrechliche Ming-Vase. Verschiedene Geschmäcker und divergierende Meinungen bei Essen, Büchern oder Menschen gelten als Beweis für ein bewusstes Leben, doch wenn es um Kinder geht, sind Vorlieben schlicht undenkbar. Wir müssen sorgsam darauf achten, alle unsere Kinder gleichzubehandeln, obwohl wir alle wissen, dass, um es wie in Farm der Tiere auszudrücken, »einige Kinder gleicher sind als andere«. Und das liegt nicht immer daran, dass manche Kinder lieb und sanft sind und andere verabscheuungswürdige kleine Monster. Manchmal, aus irgendeinem unerklärlichen Grund, rührt eines unserer Kinder unser Herz auf eine besondere Weise. Und die Freude daran wird nur am Rande von Scham und Schuldgefühlen überschattet. Doch für die Wahrheit gibt es keinen Platz in der kommunistischen Planwirtschaft unserer Zuneigung. In der Liebe, wie auch im Rechtswesen, haben Gerechtigkeit und Fairness durchaus Bedeutung. Aber obwohl unser Handeln an strengen Maßstäben gemessen wird, können die inneren Reiche unserer Gefühle zum Glück nicht überwacht werden.
In früheren Generationen, als die psychische Gesundheit noch nicht als maßgeblich für das Wohlergehen eines Kindes galt, war solche Bevorzugung eine schlichte Tatsache. Verschmähte Kinder (oft uneheliche) wurden aus Testamenten ausgeschlossen und aus Familien
Weitere Kostenlose Bücher