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Weiberabend: Roman (German Edition)

Weiberabend: Roman (German Edition)

Titel: Weiberabend: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Fedler
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auf, was sie an diesem Tag von mir bekommen hatten. In dieser Woche. In den vergangenen fünf Wochen. Während sie ungeduldig mit den Füßen scharrten, herrschte ich sie an, dass sie allein an diesem Vormittag so viel Sachen und Süßigkeiten bekommen hätten wie andere Kinder in ihrem ganzen Leben. Und dass sie sich glücklich schätzen könnten, eine Mutter wie mich zu haben. EINE LIEBEVOLLE! GROSSZÜGIGE!! FREIGEBIGE!!! SELBSTLOSE!!!! WUNDERBARE!!!!! Mutter wie mich zu haben!!!!!!
    »Ich will meine DVD zuerst gucken«, sagte Jamie, ohne dass ihre Stimme auch nur ein bisschen zitterte. Mut hat sie jedenfalls. Aaron zog einen seiner Flipflops aus und schlug ihr damit auf den Kopf. Sie begann zu kreischen, packte seine Schwimmbrille und ließ sie am Gummiband zurückschnalzen, so dass sie ihm an den Kopf knallte. Er begann ebenfalls zu kreischen.
    »Das war’s«, sagte ich mit dünner, eiskalter Stimme. »Auf Wiedersehen. Ich gehe jetzt. Essen ist im Kühlschrank, und Jamie kann im Notfall die eins-eins-null wählen, aber ich bin jetzt weg. « Während ich ein bisschen Proviant, den Taramasalata-Dip und die Mini-Baguettes und eine Flasche Whisky aus dem Schrank holte, erklärte ich ihnen, sie könnten sich eine neue Mutter suchen – offensichtlich tauge ich ja nichts. Und dann ging ich zur Tür.
    Sie gerieten in Panik.
    »Ach, bitte geh nicht«, flehte Aaron.
    »Was, wenn uns jemand entführt?«, sagte Jamie. »Dann würde es dir leid tun, dass du so gemein zu uns warst.«
    » Wem sollte etwas leid tun?«, fragte ich.
    »Uns, uns«, sagten sie nickend. »Es tut uns leid, es tut uns sehr leid …«
    Ich blickte zwischen den beiden hin und her. Ein perverses Triumphgefühl überflutete mich.
    »Na schön«, sagte ich, »aber wenn einer von euch beiden heute Nachmittag auch nur noch einen Mucks macht …«, drohte ich vage.
    Vereint in ihrem Hass auf ihre böse Mutter, hatten sie es auf einmal sehr eilig, sich für den restlichen Nachmittag ins elektromagnetische Vergessen vor dem Fernseher zu verdrücken, Kekse zu futtern und das Kinderzimmer zu verwüsten. Und ich spülte zwei – ach was, wenn ich ehrlich sein soll, waren es drei – Paracetamol mit einem guten Schluck Whisky hinunter, rief Frank an und erklärte, er solle lieber früher nach Hause kommen. Dann setzte ich meine Kopfhörer auf und sang aus voller Kehle mit Robbie Williams I just want to feel real love hinter der geschlossenen Schlafzimmertür.
    Ich habe mich vorerst mit der Wahrscheinlichkeit abgefunden, dass meine Kinder später einmal eine Psychotherapie brauchen werden, weil sie an irgendeinem Zustand leiden, für den es zweifellos sowohl eine wissenschaftliche Bezeichnung als auch das passende Medikament gibt. Verursacht von der Qual, mit dem Verlassenwerden bedroht worden zu sein. Aber wie Frank immer sagt: »Wenn es soweit ist, wessen Problem ist es dann?« Wir alle haben irgendwelche Kindheitstraumata zu überwinden. Dann ist das eben das Trauma meiner Kinder. Wenn ich mir bereitwillig die größte Mühe gegeben habe, meine eigenen Bedürfnisse unterdrückt und jeder Laune und Bitte von Menschen nachgegeben habe, die nicht einmal ahnen, was irgendetwas kostet oder wie viel Arbeit irgendeine gewünschte Aktivität verursacht, und dafür dann nur kniehohe Verstimmung ernte – dann, so gestehe ich, dann bedenke ich nicht mehr, welche Konsequenzen meine Handlungsweise haben könnte. Nein, ich denke auch nicht dreimal darüber nach, bevor ich etwas sage, deshalb plappere ich in solchen Momenten meine geheime Sehnsucht aus – von ihnen frei zu sein, und sei es nur für eine Weile. Im Moment tue ich alles, was notwendig ist, um zu überleben. Und dazu gehören Drohungen, Gewaltanwendung, Täuschung und der Entzug von Zuneigung. Wenn mein Überleben nur auf Kosten der psychischen Unversehrtheit meiner Kinder zu sichern ist, werde ich eben an der Himmelspforte darüber Rechenschaft ablegen. Aber nicht vorher.
    Die Generation unserer Eltern hat uns psychisch versaut, ohne es zu ahnen und weil sie es einfach nicht besser wusste. Wir hingegen haben, sofern wir lesen können und alt genug sind, einen Bibliotheksausweis bekommen, keine Entschuldigung dafür. Die Regale mit den Bänden über Entwicklungspsychologie ächzen unter der Last informativer Bände, die uns in allen Einzelheiten beschreiben, welche Auswirkungen die Ad-libitum-Fütterung im Gegensatz zu festen Mahlzeiten hat; wie man mit Rivalität unter Geschwistern umgeht; wie man seinen

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