Weiberabend: Roman (German Edition)
kein Obst oder Gemüse«, sagt Dooly. »Außer, man lässt Pommes und Tomatensauce als Gemüse gelten.«
»Hast du schon Fortschritte bei Aarons Nahrungsrepertoire gemacht?«, fragt mich Tam, als müsse sie es mir jedes Mal unter die Nase reiben, wenn sie mich sieht. Wenn wir irgendwelche Fortschritte erzielt hätten, hätte sie aus der Zeitung davon erfahren.
Ich schüttele den Kopf.
»Und wie benimmt er sich in letzter Zeit?«, fragt Fiona. Ich atme tief durch.
Die Wutausbrüche meines Sohnes sind legendär. Alle meine Freundinnen haben schon mindestens einmal miterlebt, wie er sich in einen Tasmanischen Teufel verwandelt und ich schließlich in Tränen ausbreche. Die Verzweiflung hat mich dazu getrieben, Unser Kleinkind, Die Indigo-Kinder, Kinder sind auch Menschen, Männer sind anders. Frauen auch, und Kinder sind vom Himmel, Das Geheimnis glücklicher Kinder und alles von Rahima Baldwin zu lesen, auf der Suche nach einem Rettungsring, irgendeiner Methode oder Technik, nach der ich in meiner Not greifen kann. Gott ist mein Zeuge, ich habe mich bemüht, all diese sehr nützlichen Tipps umzusetzen. Auszeit. Keine Auszeit. Ignorieren. Nicht ignorieren. Konsequenz. Drohungen wahr machen. Schließlich hatte ich nichts als eine lange Reihe desaströser Fehlschläge aufzuweisen und überzeugte Frank davon, dass wir über Aaron »mit jemandem sprechen« müssten.
Monatelang trug ich schon die Namen und Telefonnummern mehrerer Kinderpsychologen mit mir herum. Aber Frank gewährt Außenstehenden nicht gern Einblick in sein Privatleben. Er wurde mit fester Hand und sehr wenig Nachsicht erzogen. Er steht offen zu seiner Meinung, dass Leute, die glauben, eine Psychotherapie zu brauchen, sich »einfach mal zusammenreißen« und ihr Leben in den Griff kriegen sollten. Es gibt nichts, was nicht durch ein kaltes Bier und ein Fußballspiel im Fernsehen kuriert werden könnte. Er hat nur eine Philosophie, was die Kindererziehung angeht: »Ich sage an, sie hören zu.« Und er sagt nur einmal an. Wenn sie dann nicht auf ihn hören, gibt er auf. Er überlässt das mir. Schließlich bin ich diejenige, die Kinder wollte.
Ich liebe Frank aus vielen Gründen, nicht zuletzt deshalb, weil er niemals die Hand gegen unsere Kinder erhoben hat. Ich bin mit einem Vater aufgewachsen, der mich geohrfeigt hat. Und wenige Kindheitserinnerungen sind für mich so schmerzlich wie die Erinnerung daran, von einem Erwachsenen geschlagen zu werden, ohne mich verteidigen oder zurückschlagen zu können. Ich habe außerdem sechs Jahre lang mit misshandelten Ehefrauen gearbeitet. Ich habe wenig Verständnis für Leute, die Schwächeren körperliche Schmerzen zufügen.
Bitte frag mich nicht. Lass mich lieber dich fragen. Schlägst du deine Kinder?
Fiona tut es nicht. Bei unserer letzten Zusammenkunft hat sie schlicht gesagt: »Ich würde Gabriel niemals schlagen.«
»Schreist du ihn wenigstens an?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Jede Mutter schreit mal«, sagte sie. »Das ist nicht meine bevorzugte Form der Kommunikation, aber ich schreie schon auch. Manchmal.«
Na klar doch. Fiona hebt nie die Stimme. Sie hat das nur gesagt, um unsere Gemeinschaft zu stärken und sich nicht zu isolieren. Niemand will gebrandmarkt werden als Die, Die Nie Schlägt. Außer Tam. Ich gestehe lieber gleich, dass ich neidisch auf Fionas selbstgerechte Behauptung bin. Ich wünschte, ich hätte immer so gehandelt, dass ich mit Fug und Recht und ohne einen Anflug von Scheinheiligkeit erklären könnte: »Es ist falsch, Kinder zu schlagen.« Sie hat recht. Theoretisch. Leider bin ich in der Praxis nicht so weit gekommen. Im Gegensatz zu Fiona habe ich im Zorn die Hand gegen meine Kinder erhoben. Im Gegensatz zu Fiona habe ich meine Kinder dazu gebracht, vor Schreck und Angst zu weinen. Im Gegensatz zu Fiona habe ich gesehen, wie mein Handabdruck sich rot auf ihrer zarten Haut abzeichnet, wie geheime Markierungen auf einer Schatzkarte. Und im Gegensatz zu Fiona bin ich schon beinahe vergangen vor Selbsthass und Scham, den Folgen dieser primitiven Gerechtigkeit.
Aber im Gegensatz zu Fiona habe ich auch kein Kind wie Gabriel – leise, höflich, ruhig und absolut lieb, abgesehen von seinen exzentrischen Seltsamkeiten, die jedoch nie die geistige Gesundheit seiner Mutter gefährden. Vielleicht liegt das daran, dass Fiona, im Gegensatz zu mir, selbst leise, höflich, ruhig und absolut lieb ist. Und seien wir doch mal ehrlich, sie hat nur ein Kind, im Vergleich zu zwei Kindern also
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