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Weiberabend: Roman (German Edition)

Weiberabend: Roman (German Edition)

Titel: Weiberabend: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Fedler
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praktisch gar keines. Selbst unter uns Müttern hier gibt es eine Hierarchie, geordnet nach Anzahl und Alter der Kinder, die man hat.
    »Aaron ist ein schwieriges Kind«, sagte Fiona damals zu mir.
    Sie wollte nur nett und großzügig sein. Aber Nettigkeit, gespickt mit unterschwelliger Psychoanalyse und Mitleid, bringt mich auf die Palme. Meine Schuldgefühle und meine Scham brauchen ebenso wenig mitleidige Zuschauer wie zwei Bären, die in ihrem engen Käfig vor dem Gitter hin und her trotten. Es würde mir schwerfallen, zu entscheiden, was mich mehr ankotzt – dass ich so erbärmlich war, meine Kinder zu schlagen, oder dass andere mich dafür verurteilen. Aus diesem Grund fühle ich aus ganzem Herzen mit anderen Müttern, vor allem im Supermarkt, die ein winziges Neugeborenes im Wagen oder in der Trageschlinge haben und mit einem unmöglichen, tobenden Kleinkind kämpfen müssen. Öffentliche Missbilligung ist alles, was noch fehlt, damit ihr die Schamesröte ins Gesicht steigt und ihr Neugeborenes zu schreien anfängt. Zwischen den Konserven und dem Kühlregal mit den Milchprodukten wird sie mit vorwurfsvollen Blicken festgenagelt. Wenn sie jetzt die Stimme oder gar die Hand hebt, lautet das Urteil der Zuschauer: »Böse Mutter, armes Kind.« Wenn sie es mit ruhigem Zureden versucht, der Wutanfall aber eskaliert und sie die Situation nicht mehr unter Kontrolle bekommt, urteilen die Leute abschätzig: »Schwache Mutter, aufsässiges Kind.« Niemand sieht sie jemals an und denkt: »Böses Kind, arme Mutter.« Außer vielleicht andere Mütter mit ähnlich gestörten Kleinkindern.
    »Ich schlage meine ja nicht gern«, sagte CJ, als hätte Spaß irgendetwas damit zu tun. »Aber ich habe es schon getan, wenn die Situation so außer Kontrolle gerät, dass einem keine andere Wahl mehr bleibt. Aber man sollte das nie aus Jähzorn tun. Sondern ruhig und beherrscht.« Na klar, wie ein Wächter im Todestrakt, der seelenruhig den Stromhebel umlegt.
    Fiona schüttelte den Kopf. »Ich glaube, dass man damit die falsche Botschaft vermittelt – nämlich dass man Schwierigkeiten mit Gewalt und Aggression löst. Du bist damit kein Vorbild für das Verhalten, das deine Kinder lernen sollen«, sagte sie.
    Genau dieses Argument hatte mich damals beim Jurastudium von der ethischen Absurdität der Todesstrafe überzeugt. Man kann Menschen nicht lehren, dass es falsch ist, zu töten, indem man sie tötet. Doch wohl nicht im Ernst. Beherrschung angesichts von Brutalität ist der Trumpf des Stärkeren. Aber bei Fiona und Tam frage ich mich schon, wo sich deren Wut eigentlich hinwendet und ob eine brüllende, schlagende Mutter wie ich langfristig und letzten Endes nicht doch weniger schädlich für ein Kind ist als eine, die ihren Zorn immer herunterschluckt. Ist eine ehrliche Reaktion, wie etwa »Ich könnte dir den Hals umdrehen«, nicht aufrichtiger als »Wie wäre es mit einer Auszeit, damit du über die verletzenden Dinge nachdenken kannst, die du gerade gesagt hast?«? Ich beneide die erwachsene Selbstdisziplin von Menschen, die ihre kochende, brutale Wut in besänftigendes Gemurmel umwandeln können, aber ich finde, sie haben auch etwas Verklemmtes, Unaufrichtiges. Vielleicht liegt das auch an meiner jüdischen Herkunft – wir sind nun mal ein schreiender, heulender, stöhnender Stamm. Mit überkochenden Emotionen habe ich kein Problem. Und mal ganz ehrlich, ich brauche auch weder Kickboxen noch Prozac.
    Aber als ich an jenem Tag mit meinen Freundinnen zusammensaß, schwor ich mir: Keine Schläge mehr. Trotz der köstlichen, momentanen Erleichterung, wenn sich meine Wut entlädt wie ein aufgestautes Niesen, bleibt eben noch lange danach die bittere Reue, jemanden verletzt zu haben, den man liebt. An jenem Tag überredeten sie mich gemeinschaftlich, zu einer Kinderpsychologin zu gehen.
    Ich rang Franks Widerstand nieder. Ich erklärte sogar, er müsse auch mitkommen. Das sei er Aaron schuldig. Das sei er mir schuldig. Ich weinte. Ich bettelte. Schließlich verweigerte ich mich im Bett. Also musste er irgendwann nachgeben und mitkommen.
    Sie war sehr nett, diese Kinderpsychologin, eine ältere Frau in einem piekfeinen Haus in Dover Heights. Sie war freundlich und warmherzig und bot uns etwas Kaltes zu trinken an. Ich nahm dankend an. Frank lehnte ab.
    Ich begann, von den wüsten Missetaten meines Sohnes zu erzählen.
    Sie nickte und machte sich Notizen.
    Frank sagte lange gar nichts, und dann begann er zu reden. Er erzählte von

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