Weiberabend: Roman (German Edition)
wie eine Sechsjährige ihren ersten ausgefallenen Zahn unters Kopfkissen legt? Welchen höheren menschlichen Daseinszweck könnte es geben, als ein Kind zu trösten, das schlecht geträumt hat? Wenn ich an all die erstaunlichen Dinge denke, die auf Erden schon erreicht worden sind, die Heilung von Krankheiten, die wissenschaftlichen Durchbrüche, die überwältigenden Technologien und Erfindungen, dann frage ich mich dennoch, ob es diese Dinge sind, die letztlich wirklich zählen. Oder ob es der Himmel in einem zahnlosen Grinsen ist, in einem kleinen Mund, der sagt: »Ich liebe dich bis zum Mond und wieder zurück«, was die Welt im Grunde antreibt.
»Was wärt ihr, wenn ihr keine Kinder bekommen hättet?«, frage ich die Mädels in der Hoffnung, die Stimmung aufzulockern.
»Dünn«, sagt Ereka.
»Geschieden«, sagt Dooly achselzuckend.
»Jede Nacht mit einem anderen Mann im Bett«, sagt CJ.
»Genau das, was ich jetzt bin.« Liz lächelt, und ihre Hand liegt immer noch fest auf Fionas Schulter.
»Eine gute Heilpädagogin«, sagt Tam bescheiden.
»Alle sechs Monate auf Auslandsurlaub«, sagt Helen lachend.
»Und du, Fi?«, frage ich.
Fiona überlegt. »Eine beschränkte, kinderlose Person, die die Augen verdreht, wenn sich im Flugzeug jemand mit Kindern neben sie setzt. Und zu stillen anfängt.«
Wir alle lachen. Liz lässt Fionas Schulter los.
»Nein, im Ernst, vielleicht wäre ich irgendwo in der Dritten Welt, um dort etwas zu bewirken, vielleicht als Lehrerin.«
»Und was ist mit dir?«, fragt Helen mich. »Was wärst du ohne deine Kinder?«
Ich brauche kaum zu überlegen. Die Antwort sprudelt aus mir heraus, bevor mein Hirn sein Okay geben kann.
»Unglücklich«, sage ich. »Kreuzunglücklich.«
12 Mütter werden nicht krank
P lötzlich hält sich Helen den Bauch. »Oooh«, stöhnt sie.
»Zu viel gegessen?«, fragt Liz.
»Nein, mir ist übel«, keucht sie.
»Möchtest du dich hinlegen?«, fragt Fiona.
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, das habe ich immer, wenn ich schwanger bin, geht gleich vorbei.«
Ich trete hinter sie, lege die Hände auf ihre Stirn und massiere sie sanft.
»Jo, könntest du das lassen?«, bittet sie freundlich.
»Entschuldige«, sage ich, »ich dachte, das hilft vielleicht.«
»Ich brauche nur mal fünf Minuten Ruhe, dann geht es mir gleich besser«, sagt sie und lässt den Kopf in die Hände sinken. Ich kann gar nicht hinsehen, wenn es ihr schlecht geht. Ich verlasse mich so auf ihre Robustheit, ihre Unbesiegbarkeit. Helen wird nicht krank. Ohne sie gibt es hier keine Party.
»Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«, frage ich. Sie nickt.
In der Küche fülle ich ein Glas mit Leitungswasser, und dabei fällt mir ein, dass ich für den Rest von uns ja noch Karamell-Likör in den Tiefkühler gelegt habe. Ich stelle die gefrostete Flasche und acht kleine Schnapsgläser auf ein Tablett – vielleicht erholt sich Helen ja noch rechtzeitig.
Drüben im Wohnzimmer hockt Helen noch genauso da, wie ich sie zurückgelassen habe, den Kopf in den Händen begraben. Dooly, Tam und Fiona beobachten sie besorgt. Liz nippt an einem Glas Rotwein. Ereka hat sich weit vorgebeugt und lackiert ihre Nägel in dunklem Orange, und CJ macht auf dem Boden eine Yoga-Dehnübung. Ich reiche Helen das Glas Wasser.
»Bist du sicher, dass du nicht diesen Magen-Darm-Virus hast, der gerade herumgeht?«, fragt Tam Helen. »Ich musste mich letzte Woche krankschreiben lassen, ich hatte Magenkrämpfe, Durchfall und musste mich übergeben. Die Hälfte meiner Kollegen ebenso. Mein Chef hat geschäumt – und dann hat es ihn auch erwischt.«
»Nein, das ist eine ganz normale Schwangerschafts-Übelkeit«, sagt Helen. »Ich fange mir nie das ein, was gerade herumgeht.« Sie hält das Glas Wasser in der Hand, trinkt aber nicht.
»Ich kriege alles, was herumgeht«, sagt Dooly. »Mein Immunsystem ist ziemlich mies seit … ihr wisst schon, seit letztem Jahr.«
Ich lächle sie an. Irgendjemand muss ihren Schmerz zur Kenntnis nehmen, so bescheiden versteckt in einer beiläufigen und prosaischen Phrase wie »letztes Jahr«.
»Wie wäre es mit einem Schnäpschen? Das bringt dich wieder auf die Beine«, sage ich.
»Ach, was soll’s …«, sagt sie und nimmt ein Glas.
»Wer möchte noch?«, frage ich und preise meine Ware an.
Helen hebt den Kopf und lächelt müde. »Nur einen Moment – gleich bin ich soweit. Entweder beruhigt er meinen Magen, oder er bringt mich zum Kotzen.«
Sie ist wirklich unzerstörbar,
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