Weiberabend: Roman (German Edition)
hätte, ungefragt irgendein Körperteil von mir zu berühren. Vor allem meinen Bauch. Als mein Bauch in der Schwangerschaft sichtbar wurde und die Leute mit ausgestreckten Händen auf mich zukamen, um ihn zu tätscheln, musste ich mir also vor Augen halten, dass ein staatliches Waisenhaus (nur, bis deine Mutter ihre Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung abgesessen hat) als erster Aufenthaltsort für mein ungeborenes Baby nicht gerade ideal wäre.
Obwohl es strenge soziale Tabus, Firmenstatuten und sogar Gesetze gibt, die regeln, wie, wann und wo es akzeptabel ist, andere Leute anzufassen, scheinen diese Einschränkungen bei schwangeren Frauen nicht zu gelten. Der Babybauch ist offenbar dazu da, betatscht zu werden. Hand in Hand mit dieser seltsamen Norm geht die Erwartung, dass schwangere Frauen sich gefälligst liebenswürdig mit dem Getatsche all jener abzufinden haben, denen gerade nach Tatschen zumute ist.
Die Schwangerschaft nimmt uns unser Recht auf körperliche Autonomie, so wie der Staat einen Verbrecher verfolgt, zugunsten eines Geschädigten, der dabei nur als Zeuge auftritt. Auf ähnliche Weise werden wir in der Schwangerschaft zum bloßen Behältnis unseres Babys, nichts weiter als ein lebender Brutkasten. Wenn also eine Schwangerschaft zu einem unglücklichen Zeitpunkt oder unter ungünstigen Umständen eintritt, dann müssen wir beim Staat um die »Erlaubnis« für eine Abtreibung betteln. Ob es uns gefällt oder nicht, sobald dieses Spermium mit unserem Ei verschmolzen ist, wird dieses Klümpchen sich teilender Zellen zu Staatseigentum, das vor Gericht gegen uns verwendet werden kann.
So, wie sie sich ganz selbstverständlich berechtigt fühlen, sich auf einer Parkbank niederzulassen und ein wenig auszuruhen, sprechen uns ältere Frauen an, und verkünden lautstark und unerbittlich: »Das wird ein Junge – seht euch nur den Bauch an.« Oder »Ich erkenne doch ein Mädchen, wenn ich eines sehe – ich habe sechs geboren. Bei einem Mädchen ist die Mutter hässlich, bei einem Jungen strahlt sie.« Als wohlerzogene Mitglieder dieser Gesellschaft wird von uns erwartet, dass wir diesen Ansturm peinlicher, prüfender Blicke und ungefragt dahergeplapperter Ansichten geduldig und freundlich ertragen, ohne auch nur einmal eine Seniorin mit ihrer eigenen Gehhilfe zu verprügeln.
Wenn das Baby erst draußen ist, verlagert sich diese Aufmerksamkeit unglücklicherweise von unseren Bäuchen auf den Inhalt unserer Kinderwagen. Wildfremde Menschen halten uns auf offener Straße an, um – ja, um mit ihren Weiß-Gott-wo-die-vorher-waren-Lippen unsere Babys zu küssen … bäh! Wohlmeinende ältere Passantinnen bieten ungefragt ihren Rat an – »Es muss ein Bäuerchen machen«, »Wann haben Sie zuletzt die Windel gewechselt?«, »Vielleicht ist es müde.« Die Schwangerschaftsmoral und die Neugeborenenetikette schreiben für solche Fälle dankbares Lächeln und höfliche Zustimmung unsererseits vor. Wohin wir auch gehen, ab sofort sind die Augen und Ohren von Fremden auf uns geeicht wie Hochfrequenz-Radarantennen. Mütter haben keine Privatsphäre. Die Mutterschaft, mit Windeln und allem drum und dran, ist die ultimative Arena von Öffentlichkeit und Politik.
Zu Franks Unglück verschwor sich eine ganze Reihe widriger Umstände gegen ihn, als er an einem denkwürdigen Sommertag Einmischung vom Feinsten abbekam. Es war einer dieser unerträglich heißen Nachmittage im Januar, an denen ein Familienausflug von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, man aber nicht zu Hause bleiben kann, will man nicht das Leben der Katze, die Grundmauern des Hauses und die letzten hartnäckigen Überreste der eigenen geistigen Gesundheit aufs Spiel setzen. Wir fuhren an einem Strand vorbei, und Jamie, damals fünf, verkündete, hier wolle sie schwimmen. Sämtliche Parkplätze waren jedoch belegt, es hatten sich schon lange Schlangen gebildet. Also fuhren wir weiter. Jamie jedoch beharrte mit der Entschlossenheit eines Rottweilers darauf, dass sie an diesen Strand wolle. Wir erklärten es ihr: Wir können da nicht parken. Wenn wir könnten, würden wir es tun. Tut mir leid, aber wir finden sicher einen anderen Strand. Dort kaufen wir dir dann ein Eis, und alle werden einen schönen Nachmittag erleben. Ende.
Aber Jamie wollte an diesen Strand. Diesen Strand. Mittlerweile hatte sich sogar die Klimaanlage gegen uns gewandt und pustete heiße, klebrige Luft ins Auto, so dass wir verschwitzt an den Sitzen klebten. In angemessener
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