Weichei: Roman (German Edition)
wie Ebbe und Flut jeweils einen Tisch weiterzugezeiten und das gleiche Leid nochmals zu wiederholen. Sieben Mal.
Meine Taktik besteht darin, mir nicht im Voraus die beteiligten
Damen anzuschauen, um nicht schon vorher das Handtuch zu werfen. Was soll da schon Brauchbares dabei sein? Ich sitze unten im Gully, im Rost, wohin nur das findet, was oben an der Erfolgsoberfläche für nicht wertig befunden und achtlos weggeworfen wurde.
Bei der eigenen Konkurrenz sehe ich das nicht so eng. Die will ich mir schon genau ansehen. Aus den Augenwinkeln checke ich meine Mitstreiter und schätze meine Chancen als gut bis sehr gut ein. Drei der Herren sind offensichtlich aus gutem Grund nicht das erste Mal hier und werden, falls die männliche Rasse nicht bis morgen früh an den Rand des Aussterbens gedrängt wird, auch nicht zum letzen Mal hier sein. Einer wäre bei einem Treffen der Weight Watchers besser aufgehoben, macht aber ansonsten einen durchaus netten Eindruck. Der Typ daneben kaut die ganze Zeit an den Fingernägeln und wirkt dabei so nervös, dass man nicht weiß, ob er auf Entzug oder Freigang ist. Nur der Letzte könnte mir gefährlich werden. Er sieht eigentlich viel zu gut für solch ein Treffen der Gescheiterten aus, ist passabel angezogen und wirkt sehr souverän. Er lächelt mich sogar höflich an und nickt mir zu, wie sich Boxer vor ihrem Kampf noch einmal die Fäuste reichen. Dich werde ich im Auge behalten.
Und dann geht es los. Myriam, die sich als leicht adipös anmutende Enddreißigerin mit progressiver Dauerwelle aus den Achtzigern und herzerfrischend kehligem Lachen herausstellt, begrüßt uns alle mit Handschlag und einem Mini-Hanuta, die sie auch überall auf den Tischen verteilt hat. Nein, wie allerliebst. So gewinnt man also das Herz eines geschlechtsreifen Mitteleuropäers. Mit gebackenen Haselnusstafeln auf Taschenformat.
Wer hätte das gedacht?!
Schon jetzt habe ich also etwas fürs Leben gelernt. Ich kann nur hoffen, dass der Wissensschatz unserer Kupplerin über gebackene Haselnusstafeln hinausgeht.
Kurz erklärt sie die Spielregeln des Speed-Datings.
»Nach genau sieben Minuten werde ich jeweils ein Glöcklein klingeln, das den Männern signalisiert, einen Tisch weiterzurücken. Nach jeder Runde notieren dann alle Teilnehmer den Namen des Gegenübers und machen ein Kreuzchen, ob sie sich ein weiteres Treffen mit dieser Person vorstellen können. Falls es eine Übereinstimmung geben sollte, werde ich Sie in den nächsten Tagen per Mail benachrichtigen und Ihnen die Mailadresse des jeweils anderen zukommen lassen.«
Okay, so weit habe ich das also verstanden: Glöcklein klingeln, hinsetzen, labern, Kreuzchen bei Ja oder Nein machen und dann weiterrücken, damit die nächste gescheiterte Existenz eine Chance auf Reproduktion haben kann.
KLINGELING
Das Glöckchen deutet den Aussätzigen den Beginn des Spiels an. Bewaffnet mit Stift und Block nehme ich an einem der freien Tische Platz und lasse ängstlich meinen Blick nach oben, zu meiner ersten Kandidatin, wandern.
»Hi, ich bin die Kerstin.«
Hm, sie sieht eigentlich ganz normal aus. Gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Sie ist jetzt kein Knaller, aber durchaus tageslichttauglich. Und sprechen kann sie anscheinend auch fließend.
»Robert.«
»Bist du das erste Mal hier bei so einem Speed-Dating?«
»Ja, bin sozusagen eine Sieben-Minuten-Jungfrau.«
Sie lacht und legt ihre weißen Zähne frei. Das bedeutet
wohl, dass ich den ersten Treffer gelandet habe. Irgend so ein schlauer Mann sagte mal, wenn man eine Frau zum Lachen bringen kann, kann man sie auch ins Bett bekommen. Wollen wir doch mal sehen und hoffen, dass der Spruch nicht von einem Zirkusclown stammt.
»Meine Jungfräulichkeit habe ich schon lange verloren.«
»Ach?«, wundere ich mich. »Wie jetzt?«
»Na, ich meine … die Speed-Dating-Jungfräulichkeit.«
»Ach so. Ja, natürlich. Schon klar.«
»Es ist mein viertes Mal. Das erste Mal dachte ich: He, gar nicht so schlecht. Beim zweiten und dritten Termin war es aber echt scheiße.«
»Und beim vierten?«
»Hm, mal schauen.« Kerstin grinst. »Bisher läuft es aber ganz gut.«
»Ja, finde ich auch. Du machst einen echt sympathischen Eindruck.«
»Danke. Du aber auch.«
Mensch, Robert, das läuft hier ja wie geschnitten Brot. Das ist deine Welt. Der Small Talk. Wie an der Tankstelle, nur mit besseren Frauen und Mini-Hanuta. Wir quatschen im Anschluss noch ein wenig, dann nehme ich all meinen Mut
Weitere Kostenlose Bücher