Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
für den nächsten Tag meinen Weihnachtsbesuch an.
Der alte Herr öffnete auf mein Klingeln hin die Wohnungstür. Er war noch fragiler und magerer geworden, aber sein Gesicht lachte, als er mich sah. Er bat mich in seine kleine Wohn-Malstube, deren Wände nicht seine, sondern hauptsächlich Kopien verehrter Meister und Werke geschätzter Kollegen zierten. Zwischen Stößen von Aquarellen und Zeichnungen fanden wir doch Platz, und er erzählte mir, daß seine Körperkräfte keine großen Neuarbeiten zuließen und er deshalb dazu übergegangen war, Verbesserungen und Ordnung in die alten zu bringen. Ich übergab ihm meinen Blumenstrauß. Er strahlte. Die Farben: Grün, Lila, Orange waren seine Lieblingsfarben; er wollte ein Blumenaquarell danach malen. Nur die düsteren dunklen Lichtverhältnisse in diesem kleinen Raum, klagte er, ließen die Blumen nicht so richtig leuchten. Er sah traurig und unruhig zum Fenster hinaus. Dann packte er meine Kerze aus. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er sie aus dem Backkringel mit roter Seidenschleife, in den ich sie gestellt hatte, um ihr ein festlicheres Weihnachtsgepränge zu verleihen. Er ging zum Schrank, zog aus einer Schublade ein Transparentbild hervor, das er vor fünfunddreißig Jahren geschnitten und beklebt hatte. Er stellte es vor uns auf dem Tisch auf und zündete die Kerze dahinter an. Das elektrische Licht knipste er aus. Das tryptichonartig gestaltete Weihnachtsbild begann plötzlich zu leben und wie ein Mosaik zu leuchten. Es verströmte Farben und Licht, die den ganzen Raum in seiner schweren Alltäglichkeit aufsogen und verwandelten. Im Zimmer verbreitete sich eine wundersame Stimmung und Atmosphäre: warmes Licht, ein herrliches Farbenspiel, Ruhe und Stille. Schweigend und ergriffen saßen wir eine Weile davor und plötzlich wußte ich, er hatte sein Licht, und ich etwas von Weihnachten gefunden.
Henri Goebel
Uns erste Wiehnachten na den Kreeg
De Kreeg wör vörbi, un wi beeden Jungs wörn heel trüch komen. Ne, stimmt nich ganz: Een von uns har noch op’t letzt een swore Verwundung afkregen. Een Granatsplitter har em den Arm half afreten, man blots half. As de Dokter em seggen dä: «De Arm mut af!», dor het he em jüst dormit een langt. Dor sä de Dokter: «Wenn he dat noch kann, denn blift de Arm dran.» Also, wi wörn wedder ent Hus komen.
Aber denn sä uns Modder kort vor Wiehnachten: «De Tied is so trurig, dor paßt gor keen Wiehnachtsboom mit Lichters un keene Wiehnachtsleeder.»
Dat wör mi nu gor nich na de Mütz. Ick sä: «Ick wör jo veel un girn ünnerwegens, aber an Wiehnachten much ick jümmer girn to Hus ween. In de Kreegsjohren harn wi ook in Rußland, wenn dat güng, een lütten Boom. Un wenn dat nu keen Wiehnachtsboom gift, denn gon ick ut’n Hus!»
Aber Vadder hol würklich keen Boom as in all de annern Johrn.
Nu wüß ick aber, dat een anner Familie in de Näh ut’n Versehen twee Böm harn. Ick also heemlich den Boom holt un in die lütt Stuuv op’n Foot stellt, den har ick sülbst mokt. Lichter un Smuck wörn noch von vor den Kreeg dor. As Geschenk har ick een Teewogen bout. Un denn noch wat: Uns Tuun wör meist ant Umfallen, aber dor wär keen Tied un keen Holt, een niegen to moken. So har ich blots een Modell bout, genau in’n Maßstab 1:10, mit Pielers un Port un allens in de Farv «Ölgrün Nr. 5» — de kennt de ole Lü in uns Straat hüt noch.
Toletzt also den lütt Bollerwogen ut’n Stall holt, dor käm de Modelltuun rop. Op den Teewogen käm de Boom mit brennende Lichter, un Punkt Klock söben güng dat all tosomen in de groot Stuuv.
Dor wör nu swor uttomoken, wat heller lüchten dä, de Lichter an den Boom oder de Tranen in de Ogen von uns Modder. Un ook wi groden Kerls wischt uns verstohlen ober de Ogen.
So war dat doch een heel goden Wiehnachtsobend — viellicht de schönste, de erste Wiehnachten na den Kreeg to Hus.
Jo, sungen hebbt wie ook.
Un in’t Fröhjohr stünn de niege Tuun «in natura».
Gerhard Bahr
Die heiligen Nächte
Das folgende Geschichtchen handelt von einem alten ostpreußischen Brauch aus der Weihnachtszeit, über den aus erklärlichen Gründen nur wenig gesprochen wurde: die Deutung der Träume in den «Zwölf heiligen Nächten».
Ursprünglich waren es die Heiden, die von Krankheiten, Hungersnöten und Überfällen geplagt, gegen Jahresende versuchten, gleichzeitig zu erfahren, was ihnen in den folgenden Monaten bevorstand. Das bekannte Bleigießen war eine Möglichkeit und die
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