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Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Friedrichsen , Ursula Richter
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die Wende auch in unser Dorf.
    Vater und Mutter sprachen abends oft über diese Geschehnisse. Namen und Orte in diesen Gesprächen sagten mir bis dahin noch nichts. Irgendwie wurde jetzt alles anders, ernster. Vaters Uniform war nun immer in Ordnung. Er mußte auch oft zur Vorgesetzten Dienststelle in die Kreisstadt. Bedrückende Gefühle, auch in unserer Familie, wurden vom bevorstehenden Weihnachtsfest überdeckt.
    Bis zu dem Tag, kurz vor Weihnachten. Papa hatte unseren Kaufmann vom Kolonialwarengeschäft, Herrn Rose, in die Arrestzelle gesperrt. Mein Vater sperrte den Mann ein, der nur drei Häuser weiter wohnte. Den Mann, der in seiner ruhigen, gutmütigen Art immer eine Kleinigkeit für uns Kinder bereit hatte — auch ohne Bezahlung.
    Von heute auf morgen verstand ich die Welt nicht mehr. Alle Fragen an meine Eltern blieben ohne Erfolg. Vater sagte nur immer, er mußte Herrn Rose auf Anordnung von ganz oben und ganz sicher gegen seine eigene Überzeugung einsperren. Damit hatte er mir schon mehr gesagt, als er eigentlich durfte. Ein Wort allerdings fiel immer wieder in den Gesprächen meiner Eltern: «Jude.»
    Heiligabend war da. Ich empfand keine Freude mehr. Da sollte ich feiern, und Herr Rose, der immer so nett zu mir gewesen war, saß in der kalten, nackten Arrestzelle. Der Heiligabend ging an mir vorüber, ich dachte nur an Herrn Rose, jetzt mußte ich ihm irgendwie etwas Gutes tun.
    Als Vater und Mutter noch in der Küche beim Essen waren, ging ich ins Wohnzimmer und nahm eine brennende Kerze vom Tannenbaum. Herr Rose sollte wenigstens mit etwas an Weihnachten erinnert werden. Als ich mit der brennenden Kerze durchs Treppenhaus ins dunkle Büro ging, hörte ich aus dem Nachbarhaus den Gesang von «Stille Nacht, Heilige Nacht». Ich hatte einen Kloß im Hals, der sich noch verstärkte, als ich die kleine Klappe in der Zellentür verbotenerweise öffnete. Herr Rose lag in einer Wolldecke eingehüllt auf der Pritsche. Langsam stand er auf und kam an die Tür. Im schwachen Licht meiner Kerze konnte ich sehen, daß er geweint hatte. Ein Blick seiner unendlich traurigen Augen traf mich. Ich konnte plötzlich nichts mehr sagen, wortlos reichte ich ihm die brennende Kerze durch die Türklappe. Hilflosigkeit spiegelte sich in den Augen des Mannes wider. Mein ganzes Leben werde ich diesen Blick der Traurigkeit und Verständnislosigkeit nicht vergessen.
    Erst als ich wieder in der Wohnung war, merkte ich, daß mir dicke Tränen übers Gesicht liefen. Das war mein Weihnachten 1938. Kurz nach Weihnachten wurde Herr Rose abgeholt, wie sie es nannten. Ich sah ihn nie wieder.
    Dennoch, viele Jahre später, bekam ich einen Brief aus Amerika. Es war wieder Weihnachten. Ich war jetzt schon vierzehn. In schlichten Worten schrieb mir Herr Rose, an den ich so oft gedacht hatte, daß er noch lebe und in Amerika eine neue Heimat gefunden habe. Daß er aber selbst mit den dankbarsten Worten nicht die Gefühle ausdrücken könne, welche Freude ihm die eine brennende Kerze in jener «Heiligen Nacht» des Jahres 1938 bereitet hatte.

    Hanneliesa Elsner

Wie es war, als der Weihnachtsmann bei uns schlief...

    24. Dezember vor acht Jahren:
    Es hatte über Nacht geschneit, und die Kinder waren mächtig aufgeregt. Weil mein Mann Briefträger ist und auch am Heiligen Abend immer noch Leute Post bekommen wollen, mußten wir, wie jedes Jahr, den Tannenbaum am Tage vorher schmücken und all die großen und kleinen Päckchen unter dem Baum verteilen. Dann mußte natürlich das Wohnzimmer verschlossen werden. Das gab immer viel Getuschel vor der Stubentür, ab und zu wohl auch einmal einen ganz, ganz vorsichtigen Blick durch das Schlüsselloch. Zu der Zeit war unsere Tochter sechs Jahre alt und unser Axel zwei. Beide Kinder waren ganz fest überzeugt, daß nun hinter der verschlossenen Tür der Weihnachtsmann die Geschenke von seinem Schlitten lud und es sich vielleicht auch noch mal kurz auf einem Sessel gemütlich machte.
    Den ganzen Vormittag war ich noch beschäftigt, damit wir, wenn mein Mann glücklich alle Briefe abgeliefert hatte, uns auf den Heiligen Abend freuen konnten. Erfahrungsgemäß wurde es immer sehr spät mit dem Mittagessen, die Kinder wurden immer zappeliger und aufgeregter, und mir ging es auch nicht viel besser.
    So putzte ich ein Zimmer nach dem anderen und muß dabei wohl unvorsichtigerweise an die Taste der Gegensprechanlage gekommen sein, die noch seit Axels Babytagen im Kinderzimmer installiert war. Diese Anlage

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