Weihnachtsglanz und Liebeszauber
wenn’s ein Zungenkuss gewesen wäre, von dem jedes Mädchen weiß, dass sich’s dabei um was ganz Besonderes handeln soll.
Ich hob den Kopf. »Und wenn schon, Rese. Jetzt hat er dir das Küssen beigebracht; das reicht. Knutsch mit Giselbert.«
»Mit Clemens ist das nicht so einfach«, meinte Rese bedrückt. »Ehrlich gesagt … ich will ihn ja los werden! Ich weiß nur nicht, wie!« Nach kurzem Zögern flüsterte sie: »Er macht mir Angst, Ally. Und wegen Pas Hofverbot will er auch was unternehmen. Voll der Mist …«
Während sich Rese anzog, schaute ich zum Fenster hinaus. Eine Zeitschaltuhr löschte die Lichterketten um Mitternacht, deshalb und weil es noch so früh am Morgen war, lag unser Hof in völliger Dunkelheit; nur aus dem Küchenfenster fiel ein bisschen Licht. Ich hörte, wie Ma, die immer als Erste aufstand, die Küchentür öffnete, dann bellte Jash, und Sepi tigerte als schwarzer Schatten durch den gelben Lichtstrahl. Der Duft nach frischem Kaffee und warmer Milch drang ins Zimmer. Ich schloss das Fenster. »Eines möchte ich wissen, Rese: Warum hast du Angst vor Clemens? Weil er sich an Pa rächen will? Oder gibt es noch einen Grund?«
Rese zog gerade den Pulli über den Kopf, und weil sie das am Sprechen hinderte, fügte ich hinzu: »Will er was, was du nicht willst?«
»Vielleicht«, wich sie aus und runzelte die Stirn. Ich warnte sie nicht vor Falten; Falten standen gerade nicht ganz oben auf der Zu-vermeiden-Liste. »Er ist einfach … einfach anders als die Jungs, die ich kenne«, gestand Rese. »Hängt wohl damit zusammen, dass er älter ist. Außerdem stinkt er.«
»Igitt! Wohl zu geizig, um sich ein anständiges Duschgel zu kaufen, was?«
Rese schüttelte den Kopf. »Falsch. Er raucht.«
»Das ist unterirdisch. Der ganze Kerl ist unterirdisch«, schimpfte ich und zählte auf: »Er spannt seinem eigenen Bruder die Freundin aus, er fährt zu schnell und da, wo es verboten ist, er achtet nicht auf Tiere, er will sich an Pa wegen des Hofverbots rächen, er raucht und stinkt. Und er macht dir Angst. Rese, da gibt’s nur eins: Schieß ihn hintern Mond. Aber dalli!« Nach kurzem Überlegen setzte ich hinzu: »Ich helf dir dabei. Ist doch klar, schließlich bist du meine Schwester.«
»O, super! Weißt du, der einzige Junge, der mich echt interessiert, ist der Wikinger.«
Wusste ich es doch! Und noch etwas wusste ich: Wenn sich meine Schwester etwas in den Kopf gesetzt hatte, zog sie es durch. »Na, dann viel Glück!«, sagte ich säuerlich.
»Ally, du denkst doch nicht im Ernst, er könnte an dir interessiert sein?«, erkundigte sich meine schöne Schwester und riss dabei ihre veilchenblauen Augen weit auf.
»Nö. Behaupte bloß nicht, ich sei auf einen Freund aus. Das stimmt nicht. Ich interessiere mich für Pferde und für sonst gar nichts. Nur dass das klar ist, Rese.«
Nick platzte ins Zimmer und holte uns zum Frühstück.
In unserer gemütlichen Küche bullerte wie immer das Feuer im grünen Kachelofen, am Adventskranz brannten zwei Kerzen, ein Stollen und Weihnachtsgebäck standen auf dem Tisch, und zur Feier des Tages erhob sich Hektor von seinem Lager und versuchte zu bellen. Da wurde noch nichts daraus; das Bellen klang eher wie Keuchen, aber es war ein Anfang und zeigte uns, dass es mit seiner Genesung aufwärts ging.
Wir ließen Jash und Sepi herein, Jash stürzte sich auf Sepis Milch, die Katze fauchte und haute ihm die tägliche Ohrfeige runter, Rese zählte ihre sieben Honigpops ins Schüsselchen und Nick hatte wieder Appetit für zwei. Mein Pa blätterte in der Sonntagszeitung, meine Ma schnitt den Stollen an, und die Kerzen am Adventskranz flackerten ein bisschen. Nick wollte Geld für die Aktion »Hilfe für den Nachbarn«, ich blies die Haut vom Kakao und war froh, dass die miese Stimmung in meiner Familie verschwunden war. Die Sache mit Rese und Clemens war natürlich total bescheuert, aber irgendwie würden wir die aus der Welt schaffen. Hundertpro.
Ich hörte Schritte auf dem Hof. War das schon …? Ne, Jan konnte das noch nicht sein. Oder doch?
Es war Benno, der wieder mal in die Küche platzte. »Morgen allerseits. Chef? Ich verstehe die Welt nicht mehr.«
Mein Pa ließ die Zeitung sinken. »Was ist los?«
Benno atmete rasch. »Da komme ich auf den Hof, will die Stalltür aufschließen – und was sehe ich?«
Wir starrten ihn an.
»Was siehst du, Benno?«, erkundigte sich meine Ma.
»Die Girlande über der Stalltür ist verschwunden. Wurde geklaut.
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