Weil du mich siehst
Paula ging einfach überhaupt nichts – sie war seine Nahrung und seine Luft, und jetzt hatte er beides wieder und konnte überleben.
Sie hatten sich wieder, und doch war es nicht wie vorher. Finn merkte, dass Paula sich mit Dingen beschäftigte – mit ihm, Damian und der Zukunft. Sie grübelte viel zu viel nach und tief in ihrem Herzen glaubte sie noch immer, dass es falsch war, mit ihm zusammen zu sein.
Sie gingen gemeinsam zur Gruppentherapie und auch zu Dennis` Beerdigung. Als Paula aber in der folgenden Woche wieder von Jens abgeholt wurde, sagte sie Finn, dass sie diesmal lieber allein fahren würde. Die letzten beiden Male waren sie zusammen zu Damian gefahren, und Finn betrachtete es als kein gutes Zeichen, dass sie ihn nicht dabei haben wollte. Doch natürlich akzeptierte er es, was sollte er auch anderes tun?
»Wo ist denn Finn heute?«, fragte Sandra, als Paula allein aus dem Auto stieg.
»Wir machen doch nicht alles zusammen, Sandra«, erwiderte Paula nur knapp.
Sandra und Jens sahen Paula forschend an, dann warfen sie einander beunruhigende Blicke zu.
»Er tut dir gut«, sagte Jens. »Lass ihn dir nicht entgleiten.«
Paula nickte nur und ging dann zu Damian ins Wohnzimmer, wo er zusammen mit Julian mit der Eisenbahn spielte.
»Mama, wo ist Finn?«, wollte er wissen.
»Er ist heute zu Hause geblieben. Ich soll dich aber von ihm grüßen.«
»Schade, dass er nicht mitgekommen ist«, sagte Damian. »Ich mag ihn.«
»Ja, ich mag ihn auch«, sagte Paula.
»Mama, ich bin froh, dass du nicht mehr allein bist.«
Das war wirklich süß von Damian, Paula war gerührt. Sie wollte gerade etwas erwidern, als Damian fortfuhr: »Ich würde nämlich lieber hier bei Sandra bleiben.«
Paula dachte, sich verhört zu haben. »Was? Damian … ich dachte, wir wollen wieder zusammen sein? Ich versuche einfach alles, um dich bald wieder bei mir zu haben.«
»Aber die Schule ist so toll und Frau Marthens auch. Und ich hab auch schon Freunde gefunden. Und ich mag es, bei Julian zu wohnen.«
»Also willst du nicht mehr zu mir ziehen?« Die Enttäuschung war überwältigend.
»Bitte sei nicht böse, Mama«, sagte Damian mit zitternder Stimme.
Nichts auf der Welt hätte einer Mutter mehr wehtun können als diese Worte. Paula fühlte alle Hoffnung schwinden, das letzte bisschen Licht erlischen. Sie hatte solch einen Klumpen im Hals, dass sie die nächsten Stunden kaum mehr ein Wort herausbekam. Damian hatte sie zutiefst verletzt. Natürlich hatte er das nicht beabsichtigt, doch das änderte nichts daran. Ihr Herz war gebrochen.
Damian war die letzten zwei Jahre lang das gewesen, was sie aufrecht gehalten hatte. Jetzt war da gar nichts mehr, außer einer vagen Möglichkeit mit Finn, die auf einmal gar nicht mehr von Bedeutung war.
»Ich bin dir nicht böse, mein Schatz«, hatte sie noch gekrächzt, bevor ihre Welt ein weiteres Mal unterging.
Am Abend, wieder zu Hause bei Finn, blieb Paula still – ebenso still wie Finn. Schweigsam saßen sie beisammen. Paula versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, sie wollte keine Fragen von Finn gestellt bekommen.
Finn spürte sofort, dass etwas passiert war. So, wie Paula sich verhielt, musste es etwas Schwerwiegendes sein. Er hatte Angst, wenn er sie fragte, würde sie sich ihm ganz entziehen, also wartete er ab. Doch sie sagte kein Wort, den ganzen Abend nicht und auch nicht am nächsten Tag. Zum ersten Mal spürte er, wie es für sie sein musste, wie es war mit jemandem, der stumm war.
Nachdem sie mehrere Tage kein Wort gesprochen hatte, sie nur aneinander vorbeigelebt hatten, keine zärtliche Geste stattgefunden und sie ihn wie Luft behandelt hatte, wagte er, ihren Arm zu nehmen: MÖCHTEST DU, DASS ICH GEHE?
»Ist mir egal«, antwortete sie nur.
Finn wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte sie doch nicht allein lassen, was, wenn sie ihn bräuchte? Er hatte Paula versprochen, immer für sie da zu sein, ihr eine Stütze zu sein. Aber wenn sie sich nicht helfen lassen wollte?
DER FAHRER KOMMT GLEICH. WILLST DU DICH NICHT FERTIGMACHEN?
»Ich werde heute nicht mitkommen.«
Das wäre das erste Mal, dass sie nicht zur Therapie ging. Finn schüttelte den Kopf. Er wusste nicht mehr weiter.
IN ORDNUNG. ICH WERDE ABER TROTZDEM GEHEN.
»Grüß die anderen bitte von mir«, sagte sie nur, ohne den Versuch zu unternehmen, es ihm auszureden.
Als der
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