Weil du mich siehst
Fahrer kam, stieg Finn allein zu ihm ins Auto. Es gehe Paula nicht sehr gut, schrieb er auf seinen Block.
Es war ein kalter Dienstagabend im November. Paula hatte sich noch nie so allein gefühlt.
♥
Finn saß eine ganze Stunde stumm in der Runde und hörte den anderen zu, wie sie von sich erzählten. Nach der Sitzung, mit einem Becher Tee in der Hand, ging er zu Johannes und erzählte ihm von Paula.
»Das wird schon wieder, Finn. Wir alle haben solche Phasen, in denen es schlechter läuft als in anderen. Der Winter naht, diese dunkle Jahreszeit kann ganz schön deprimierend sein.«
ES IST NUR … ICH MACHE MIR WIRKLICH SORGEN. ALLES LIEF SO GUT, UND DANN STARB DENNIS UND SIE WURDE NACHDENKLICHER. ICH DACHTE, WIR HÄTTEN ES IN DEN GRIFF BEKOMMEN, ABER DANN IST SIE ZU IHRER SCHWESTER UND IHREM SOHN GEFAHREN, UND ALS SIE WIEDERKAM, WAR SIE VERÄNDERT.
»Dann setze dich in Kontakt mit ihrer Schwester, vielleicht weiß sie mehr.«
JA, DANKE, DAS WERDE ICH MACHEN.
»Gib euch nur nicht auf, ja?«
NIEMALS, versprach Finn.
Als er nach Hause kam, schlief Paula bereits. Sie hatte zwei Kopfschmerztabletten genommen, die sie schläfrig gemacht hatten.
Finn besaß kein Handy, wozu auch? Also suchte er das von Paula und schrieb Sandra eine SMS: HALLO SANDRA, HIER IST FINN. ICH MACHE MIR SORGEN UM PAULA. IST IRGENDETWAS VORGEFALLEN WÄHREND IHRES LETZTEN BESUCHS BEI EUCH?
Es dauerte keine fünf Minuten, bis Sandra antwortete: HALLO FINN. JA, PAULA WAR IN DER TAT VIEL STILLER ALS SONST UND WIR HABEN UNS EBENFALLS SORGEN GEMACHT, DACHTEN ABER, ZWISCHEN EUCH WÄRE WAS GEWESEN, EIN STREIT ODER ÄHNLICHES.
JEMAND AUS UNSERER GRUPPENTHERAPIE HAT SICH DAS LEBEN GENOMMEN. SIE IST GANZ SCHÖN FERTIG DESWEGEN.
OH GOTT, DAS IST SCHRECKLICH. ES TUT MIR SEHR LEID FÜR EUCH. JA, DAS WIRD ES SEIN. GRÜSSE PAULA BITTE VON MIR UND MELDE DICH, FALLS IRGENDETWAS IST – JEDERZEIT.
Finn war nicht beruhigt. Er war sich ziemlich sicher, dass es nicht allein die Sache mit Dennis sein konnte. Vielleicht hatte Johannes recht und es war der Winter. Vielleicht verband sie etwas Bestimmtes mit dieser Zeit und es war wieder in ihr hochgekommen. Er hoffte sehr, Paula würde sich ihm diesbezüglich bald öffnen, damit er ihr helfen konnte. Sie musste nicht allein dastehen mit ihrem Schmerz – doch es lag allein an ihr.
Er legte sich zu Paula ins Bett und umarmte sie von hinten. In Löffelchenstellung schliefen sie und träumten jeder die üblichen bösartigen Träume.
Am nächsten Tag hatte sich nichts geändert. Paula sprach kein Wort, wollte sich nicht mitteilen. Finn hatte die Nachrichten von Sandra gelöscht, er wollte nicht, dass Paula von seinem Versuch, etwas herauszubekommen, wusste und würde sie auch ganz bestimmt nicht von ihrer Schwester grüßen.
Beim Frühstück, bei dem Paula nichts aß, nahm er ihre Hand, doch sie entzog sie ihm, und dann konnte er einfach nicht mehr.
PAULA, BITTE SPRICH MIT MIR. HABE ICH IRGENDETWAS GETAN? LIEGT ES AN MIR?
Paula starrte nur ins Leere. Sie öffnete den Mund, doch nichts kam heraus, und sie schloss ihn wieder und starrte weiter.
Finn stand ohne eine Erklärung auf und verließ die Wohnung. Verzweifelt wanderte er durch die Straßen, nach Antworten suchend.
Paula konnte sich nicht helfen. Sie wusste, dass Finn nur für sie da sein wollte, doch sie konnte ihn einfach nicht mehr an sich heranlassen. So wenig sie auch allein sein wollte, so wenig konnte sie ihn weiterhin in ihrem Leben haben. Es war aussichtslos.
Am gestrigen Abend war er allein zur Therapie gegangen. Sie hatte beschlossen, nicht mehr hinzugehen, nie mehr. In den letzten Wochen seit Dennis` Tod dachte sie immer nur an Max. Sie fühlte sich wie eine Ehebrecherin, war total zwiegespalten, was Finn betraf. Sie hatte begonnen, ihn zu lieben, das hatte sie an dem Abend im Park im Licht des Sonnenuntergangs erkannt, und sie fühlte sich unendlich schuldig deswegen.
Dann war der Besuch bei Damian dazugekommen, der ihr den Rest gegeben hatte. Alles, wofür sie gekämpft hatte, war zunichte gemacht worden. Sie hatte keinen Grund mehr, stark sein zu müssen.
Und diese Kopfschmerzen wollten einfach nicht weggehen. Sie stand auf, ging ins Schlafzimmer und griff nach der Packung Schmerztabletten auf dem Nachttisch. Kathi hatte ihr gesagt, sie seien sehr stark, sie solle nie mehr als eine davon nehmen, doch in letzter Zeit nahm sie zwei und
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