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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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entblößten Zähne. Ich atmete mehrmals tief durch. Ich löste meine Hände vom Lenkrad und bewegte meine Finger. Dann nahm ich meinen Fuß von der Bremse und wackelte mit den Zehen. Mein Hals und meine Schulter taten an der Stelle weh, wo der Sicherheitsgurt saß, aber ich war nicht ernsthaft verletzt. Ich fasste an meinen Kopf und strich mein Haar zurück.
    Ich war okay. Meine Hände zitterten. Ich war okay. So schlimm war es nicht. Die Airbags waren nicht aufgegangen, aber ich hatte Glas splittern gehört. Irgendetwas war kaputt. Ich versuchte, nicht an Jimmy zu denken.
    Was nun? Was nun? Der Motor lief noch. Ich trat vorsichtig auf das Gaspedal und hörte ein wildes, gurgelndes Geräusch, aber es bewegte sich nichts. Dann legte ich den Rückwärtsgang ein und versuchte es noch einmal. Nichts.
    »Schon gut«, sagte ich laut, doch meine Zähne klapperten. »Schon gut. Alles in Ordnung.«
    Ich stellte den Motor ab, setzte meine Mütze auf und öffnete die Tür. Das Unkraut knirschte unter meinen Stiefeln; jeder Halm, jedes Blatt war vollständig mit einer makellos glatten Eisschicht überzogen. Um Halt zu finden, legte ich eine Hand auf die Kühlerhaube, als ich um den Wagen herum nach vorne ging. Das Licht des wolkenverhangenen Sonnenaufgangs war schwach, aber ich konnte sehen, dass sich die Stoßstange in den rechten Vorderreifen gebohrt hatte. Das Glas, das ich splittern gehört hatte, war der rechte Scheinwerfer gewesen.
    Ich lehnte mich an den Wagen und rieb mir die Schulter, die noch immer an der Stelle schmerzte, wo der Gurt gesessen hatte. Der Wind war stark, und winzige, eiskalte Regentropfen peitschten mir auf Wangen und Nase. Ich rieb mir weiter die Schulter und schaute mich um. Graues Eis, ein silbriger Himmel mit tiefhängenden Wolken und die leere Autobahn - mehr gab es nicht zu sehen. Ein Kombi glitt vorbei, und ich beobachtete, wie er in der Ferne hinter einer Anhöhe verschwand. Das war nur fair. Niemand sollte für irgendjemanden anhalten. Schließlich hätte ich eine Mörderin sein können.
    Ich stieg wieder in das Auto und kramte in meinem Rucksack nach meinem Handy, in der Hoffnung, ich hätte es bloß übersehen. Hatte ich aber nicht. Ich hatte mein Physiologiebuch, meine Magnetstreifenkarte für die Kantine, meinen Führerschein, eine Tüte Bonbons und etliche Pistazienschalen dabei. Und das war's.
    Mein Vater hatte mir natürlich massenweise Ratschläge gegeben, was zu tun wäre, wenn ich einen Autounfall hätte. Ich sollte im Wagen bleiben, die Türen verriegeln und auf die Polizisten warten. Wenn sie kamen, sollte ich mir erst ihre Ausweise zeigen lassen, bevor ich das Fenster herunterkurbelte. Doch noch bevor ich irgendetwas von alldem tat, sollte ich meinen Vater anrufen - mit dem Handy, das ich immer bei mir haben sollte und das mein Vater mir gekauft hatte; nicht etwa, weil er es mir erleichtern wollte, den ganzen Tag mit meinen Freunden zu reden - »bla bla bla«, wie er es nannte -, sondern damit ich im Notfall eines zur Hand hatte.
    Ich betrachtete mich im Rückspiegel. Meine Nase lief, und mein Gesicht war blass. Wenn er von dem hier hörte, würde er brüllen. Später würde er sagen, wie leid es ihm tue und dass er nur gebrüllt habe, weil er mich liebe und nicht wolle, dass mir etwas Schlimmes zustieß. Aber vorher würde er brüllen.
    Ich weiß nicht genau, wie lange ich so dasaß. Meine Uhr hatte ich ebenfalls vergessen. Es kam mir wie eine Stunde vor, aber vielleicht war es auch weniger. Der gefrierende Regen wurde zu normalem Regen und hörte schließlich ganz auf. Mir war kalt, ich hatte Hunger, und ich sehnte mich nach Koffein. Die aufgehende Sonne war ein heller Fleck am Himmel. Ich starrte sie an, ohne die Augen zusammenzukneifen, und versuchte zu erraten, wie spät es war. Um zehn Uhr fing mein Physiologielabor an. Meine Lehrerin - eine Doktorandin aus Äthiopien, die aussah, als wäre sie vielleicht zwei Jahre älter als ich -, hatte uns mitgeteilt, dass ihr bewusst sei, dass Leute wirklich die Grippe bekämen und Großmütter wirklich stürben und dass es alle möglichen legitimen und tragischen Gründe gebe, die uns vom Unterricht fernhalten könnten. Aber sie sei der Überzeugung, dass diese Tragödien nicht ihr Problem wären. Letzten Endes war Arbeit Arbeit und musste zu einer bestimmten Zeit erledigt werden.
    Trotzdem gab es nichts, was ich hätte tun können. In beiden Richtungen sah man nur die kalte Fahrbahn und Eis und keine Spur von der Autobahnpolizei. Ich

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