Weil wir glücklich waren - Roman
stellte das Radio an und drehte den Regler an Countrymusik und krächzender Werbung vorbei, bis ich die leise Stimme eines Sprechers hörte, der vor den riskanten Straßenverhältnissen warnte. Vor allem Brücken seien gefährlich. Der Sturm zöge bereits über das Stadtgebiet von Kansas City und wandere dann weiter Richtung Norden. Den Personen, die bereits in Unfälle verwickelt seien, werde empfohlen, in ihren Autos zu warten, nicht 911 anzurufen - falls nicht ein echter Notfall vorliege - und sich auf eine lange Wartezeit einzustellen.
»Ehrlich«, sagte der Sprecher, während die ersten Takte von Hotel California allmählich lauter wurden, »wahrscheinlich ist es besser, wenn ihr einfach aussteigt, dem anderen Fahrer eins auf die Nase gebt und es unter euch ausmacht. Ihr seid beide Idioten, wenn ihr euch bei so einem Wetter ans Lenkrad setzt. Gesteht es euch ein, begrenzt den Schaden und fahrt heim.«
Als das Sonnenlicht ein bisschen kräftiger wurde, wischte ich die beschlagene Scheibe frei und entdeckte am Horizont etwas, das wie das Schild einer Tankstelle aussah. Es schien nicht allzu weit weg zu sein, höchstens ein bis zwei Meilen. Ich hörte im Kopf die Stimme meines Vaters und blieb noch eine Weile, wo ich war. Aber je kälter mir wurde, desto weniger sinnvoll schien mir sein Rat zu sein. Ich setzte mir meine Mütze wieder auf und stieg aus dem Wagen.
Schnell stellte ich fest, dass ich besseren Halt hatte, wenn ich auf dem Streifen mit dem vereisten Unkraut zwischen Fahrbahnrand und Graben ging. Ich trug meinen Rucksack vor der Brust, um besser das Gleichgewicht halten zu können. Ich war fünf, vielleicht zehn Minuten gegangen, als es wieder zu regnen anfing. Dicke, kalte Tropfen, die auf das Eis fielen und es noch rutschiger machten. Ich zog meine Kapuze über meine Mütze und machte sie zu, sodass nur noch meine Augen hervorschauten. Es könnte schlimmer sein, sagte ich mir. Immerhin hatte ich daran gedacht, Handschuhe anzuziehen, und ich trug die guten Stiefel, die meine Mutter mir geschenkt hatte.
Hinter mir hörte ich den Laster näher kommen, lange bevor ich ihn sah. Der Himmel hing tief, und der Hügel lag im Dunst. Als ich mich umdrehte, sah ich Scheinwerfer wie zwei gelbe Augen durch das Grau des frühen Morgens leuchten. An die Farbe der Fahrerkabine kann ich mich allerdings nicht erinnern. Ich erwartete nicht, dass er anhalten würde.
Aber er hielt an und blieb mit brummendem Motor fast direkt vor mir stehen. Ich wartete, unschlüssig, was ich machen sollte. Was das Fahren per Anhalter anging, musste ein Mädchen meinem Vater zufolge völlig den Verstand verloren haben, wenn es an so etwas auch nur dachte. »Sobald du bei jemandem ins Auto steigst«, hatte er zu Elise und mir gesagt, »hast du keine Kontrolle mehr. Du bist in der Welt der anderen, okay? Sie sagen, wo es langgeht.«
Mein Vater war natürlich per Anhalter gefahren, als er noch jung war. In dem Sommer, bevor er mit seinem Jurastudium angefangen hatte, war mein Vater mit einer Gitarre auf dem Rücken kreuz und quer durchs Land gereist, indem er am Straßenrand den Daumen heraushielt. Aber die Zeiten hätten sich geändert, meinte er. So etwas könne man einfach nicht mehr machen, schon gar nicht als Frau. Es täte ihm leid, falls sich das ungerecht anhöre. Als Elise den Mund aufmachte, hob er eine Hand. »Das Leben ist nicht gerecht«, fügte er hinzu. »Gewöhnt euch daran.« Er hatte ein ganzes Arsenal an Beispielen parat, um zu beweisen, dass die Welt ein Dschungel war und junge Mädchen häufig die Opfer. Wenn wir ihm nicht glauben würden, sollten wir die Zeitung lesen.
Ich starrte aus zusammengekniffenen Augen den Laster an. Der Rest meines Gesichts war immer noch von meiner Kapuze verborgen. Meine Freundin Becky Shoemaker von der Highschool war nach dem Schulabschluss per Anhalter bis nach Kalifornien und zurück gefahren, und ihr war nichts Schlimmes passiert. Im Gegenteil, sie war eingeladen worden, mit einem Kirchenverein, der durch Arizona reiste, eine Höhle zu besichtigen, und ein Fernfahrer, dessen Familie in Chula Vista lebte, hatte ihr für den Fall, dass sie in Kalifornien einen Platz zum Übernachten bräuchte, die Telefonnummer seiner Frau gegeben. Als Becky Shoemaker in Kalifornien angekommen war, hatte sie die Frau des Fernfahrers angerufen und war schließlich fast eine Woche bei ihr geblieben. Als ich Becky fragte, ob sie nie Angst gehabt hätte, bei Fremden ins Auto zu steigen und bei Fremden zu
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