Weil wir glücklich waren - Roman
Sie schnalzte mit der Zunge. »Ich wünschte, ich müsste kein Kostüm tragen. Sogar eine Strumpfhose muss ich tragen. Das ist einfach lächerlich.«
Ich setzte mich aufs Bett und zog mir ein Paar Wollsocken an. Ich sah Elise vor mir, wie sie - das Haar zu einem schicken Knoten geschlungen und in einer Hand ihren Espresso - mit ihrem Volkswagen über die Autobahn fuhr. Elise konnte im dichtesten Verkehr Auto fahren, dabei telefonieren und gleichzeitig heißen Kaffee trinken, kein Problem. Wenn ihr Wagen keine Gangschaltung gehabt hätte, hätte sie wahrscheinlich am Lenkrad noch einen Geschäftsbrief tippen können. Sie fuhr keine Autos zu Schrott. Sie vermasselte nie etwas. Trotzdem ließ ich nichts aus, als ich ihr erzählte, was an diesem Morgen passiert war.
»Oh mein Gott«, sagte sie mit aufrichtigem Mitleid in der Stimme. »Schätzchen. Hast du das der Polizei erzählt?«
»Ja. Zu spät, schätze ich. Aber ich hab's ihnen gesagt.«
»Du musst furchtbare Angst gehabt haben.«
Dankbar für ihr Verständnis schloss ich die Augen. Ich bezweifelte, dass Elises Kollegen etwas von ihrer sanfteren Seite wussten. Aber es gab sie.
»Mir geht's gut«, versicherte ich, wohl nicht allzu überzeugend. Ich brauchte immer noch Mitgefühl. »Aber das war noch nicht das Schlimmste. Ich habe von dem Hardee's aus Mom angerufen. Sie hat einfach aufgelegt.«
Elise war einen Moment lang still. »Was meinst du mit ›Sie hat aufgelegt‹?«
»Sie hat behauptet, sie könne mich nicht abholen, und aufgelegt.«
»Wie bitte? Absichtlich?« Im Hintergrund hörte ich eine Möwe schreien. »Bist du dir sicher, dass es Absicht war?«
»Ja. Absolut sicher. Sie hat gesagt, sie sei nicht mehr mein Chauffeur, und dann aufgelegt.« Es tat gut, darüber zu reden. Bei meinem Vater hatte ich sie gedeckt, aber ich brauchte Trost, und meine Loyalität hatte Grenzen. Es befriedigte mich, dass meine Schwester tief einatmete und einen Moment lang sprachlos war. Ich stand auf und lehnte meine Stirn an das Fenster. Obwohl noch immer die Sonne schien, war das Glas kalt. Schmelzendes Eis tropfte von den Fensterblechen der oberen Stockwerke. Sieben Stockwerke weiter unten stiegen Leute aus einem Bus und trotteten zur Eingangstür des Wohnheims. Sie trugen dicke Jacken und Rucksäcke und hatten, wie ich vermutete, die zufriedenen Gesichter von Leuten, die es geschafft hatten, rechtzeitig zum Unterricht zu erscheinen und ihre Arbeit im Labor abzuschließen.
»Sie hat den Verstand verloren«, brachte Elise schließlich hervor. Sie klang traurig, vielleicht aber auch nur müde. »Ich wusste, dass sie schlecht drauf ist. Meiner Meinung nach hat sie so etwas wie eine Midlife-Crisis. Aber das ist absolut inakzeptabel. Du bist ihre Tochter. Du hast ihre Hilfe gebraucht.«
Ich nickte. Ihre Empörung half mir, mich ein bisschen besser zu fühlen. Aber nicht viel.
»Und was machst du jetzt?«, fragte sie.
»Was meinst du?«
»Rufst du sie an?«
»Nein.«
»Veronica.« Das Mitgefühl war aus ihrer Stimme verschwunden. »Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. So verhält sie sich normalerweise nicht.«
»Vielleicht hat sie einen neuen Freund«, sagte ich. »Vielleicht ist er erst zwanzig.«
»Lass das!«
Ich runzelte die Stirn. Es gefiel mir besser, wenn ich diejenige war, um die Elise sich Sorgen machte. »Du kannst sie anrufen«, schlug ich vor.
»Das werde ich.« Wieder veränderte sich ihre Stimme, sie sprach die Worte schnell und knapp. Jetzt klang sie mehr nach unserem Vater. »Glaub mir, ich werde ihr die Hölle heißmachen.«
Nachdem ich das Gespräch beendet hatte, legte ich mich aufs Bett, nur für einen Moment, wie ich mir sagte, eine kurze Ruhepause. Und dann würde ich Tim anrufen. Es würde nicht leicht sein, ihm am Telefon davon zu erzählen, was passiert war. Vielleicht erzählte ich es ihm lieber erst, wenn er wieder hier war. Ich wollte bloß mit ihm sprechen. Es wäre schön, einfach nur seine Stimme zu hören.
Aber in dem Moment, in dem ich die Augen schloss, schlief ich auch schon ein und träumte von meiner Mutter. Ich glaube, ich träumte eine ganze Weile von ihr, obwohl nur Fragmente in meinem Gedächtnis haften blieben, zum Beispiel ihr Gesicht im Profil, wie sie resigniert auf dem Beifahrersitz ihres Vans saß. Ich wusste, dass es ihr Van war. Ich saß auf der Rückbank, hinter dem Fahrersitz, und konnte ihr Gesicht deutlich sehen. Aber als ich aus dem Fenster schaute, sah ich, wie weit oben wir saßen, und plötzlich löste ich
Weitere Kostenlose Bücher