Weil wir glücklich waren - Roman
abzuservieren und zu sagen, dass es nichts mit ihm zu tun habe und das Problem bei einem selbst liege. Aber in diesem Fall traf es absolut zu. Das, was ich im Augenblick fühlte, hatte nichts mit ihm zu tun. Aber das, was ich am Freitagabend gefühlt hatte, hatte auch nichts mit ihm zu tun gehabt - was nicht unbedingt für mich sprach. Ich hatte ihn benutzt, als wäre er im Grunde keine eigenständige Person. Ob er dabei verletzt wurde, war nicht wichtig gewesen. Ich hatte guten Grund, mich zu schämen.
»Hey, Veronica.« Marley war hinter mir. »Wie geht's?«
Mein erster Impuls war, sie zu ignorieren. Ich wollte nicht gemein sein, aber ich hatte jetzt einfach keine Lust, mit irgendjemandem zu reden. Ich wollte mich umdrehen, an ihr vorbei in mein Zimmer gehen und die Tür hinter mir zumachen. Ich wollte aufhören, dumme Sachen zu sagen und zu tun. Die einzige Möglichkeit, das zu schaffen, schien mir zu sein, eine Zeit lang zwischenmenschliche Kontakte im Allgemeinen zu vermeiden. Aber als ich mich umdrehte, stand sie näher bei mir, als ich erwartet hatte, und sie schien verzweifelt einen Gesprächspartner zu brauchen - sogar noch mehr als sonst. Ich schaute den Flur hinauf und hinunter. Alle Türen bis auf ihre waren geschlossen. Sonntags konnte es im Wohnheim sehr einsam sein. Vor allem bei Kälte, wenn sogar die Leute, die nicht nach Hause fuhren, zu verschwinden schienen.
Ich sah auf meine Uhr. »Willst du zu Abend essen?« Ich war nicht hungrig - ich hatte erst vor ein paar Stunden den Salat mit Hähnchen gegessen, den meine Mutter mitgebracht hatte.
Sie nickte. Natürlich nickte sie. Wahrscheinlich war sie den ganzen Tag allein gewesen. Ich wusste nicht genau, wie der Stundenplan für Musikstudenten mit Hauptfach Waldhorn aussah, aber besonders zu fordern schien er Marley nicht. Sie hatte immer jede Menge Zeit.
»Ich muss meine Tasche abstellen.« Ich sperrte meine Tür auf und winkte sie zu mir herein. Meine Rollos waren immer noch heruntergelassen, und obwohl es erst später Nachmittag war, musste ich das Licht anknipsen, um etwas zu sehen.
»Du solltest dein Zimmer ein bisschen aufpeppen.« Sie beäugte kritisch meine nackten Wände.
»Keine Zeit«, blockte ich ab. Als ich meinen Rucksack auf den Schreibtisch stellte, hörte ich, wie mein Chemiebuch auf die Platte schlug. Ich musste bis Dienstag immer noch drei weitere Kapitel lesen - und nach Möglichkeit verstehen.
»Du brauchst Poster.« Sie setzte sich auf das zweite Bett, einen Schweinchenpantoffel über den anderen geschlagen. Sie trug das Sweatshirt, das von den Mitschülern ihrer Highschool-Abschlussklasse mit bunten Filzstiften unterschrieben worden war. »Greif nach den Sternen! Go Bison!« prangte in schwungvollen Buchstaben auf ihrem Rücken. »Ich habe Glück, weil viele Freundinnen meiner Mutter Quilts herstellen. Sie haben mir einen gemacht, bevor ich hergekommen bin. Hast du ihn gesehen? Er ist hübsch. Ich decke mich nachts damit zu und hänge ihn tagsüber an die Wand, damit ich ihn sehen kann.«
Ich nickte und tastete in meinem Rucksack nach meiner Essenskarte. Mir war klar, dass sie jedes Wort meines Gesprächs mit Clyde gehört hatte. Als sie ihn mit keinem Wort erwähnte, dachte ich zuerst, sie wäre taktvoll. Aber je mehr sie redete, desto offensichtlicher wurde, dass es sie überhaupt nicht interessierte. Sie sprach immer noch über den Quilt, über seinen Spitzenbesatz und darüber, dass die Freundinnen ihrer Mutter Marleys Namen aus ihren alten Babysachen zusammengesetzt hatten. Ich versuchte, mich auf das zu konzentrieren, was sie sagte, und das Ticken meiner Uhr zu ignorieren. Ich würde den Chemietest sowieso nicht bestehen. Deshalb konnte ich genauso gut nett sein. Als ich nach unten schaute, bemerkte ich, dass Tims Nachricht mit dem kleinen gezeichneten Kaninchen auf den Boden gefallen war. Ich hob den Zettel auf und legte ihn wieder auf meinen Schreibtisch.
In dem Moment, als wir hinausgehen wollten, klingelte das Telefon. Es war die interne Leitung, die ich sonst nie benutzte. Der Hörer lag schwer in meiner Hand.
»Veronica?« Fast sofort erkannte ich die Stimme von Gordon Goodman, dem Heimleiter - obwohl er normalerweise freundlicher klang als jetzt.
»Hast du unseren Termin vergessen? Deine Leistungsbeurteilung?«
Ich warf einen Blick auf meinen Kalender. Da stand es, zwei Tage vor dem Chemietest, beides mit roter Tinte eingetragen, damit ich es ja nicht vergaß. Ich lehnte meine Stirn gegen die Wand. Also
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