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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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sonst. »Das finde ich auch. Sie ist hübsch. Und sie sieht jung aus.« Ich brannte immer noch darauf, in die Bibliothek zu gehen, aber ich sah meine Mutter vor mir, wie sie sich - immer noch in Hörweite - mit Bowzer unter meiner Kleidung versteckte. Wenn es je einen Zeitpunkt gegeben hatte, an dem sie es brauchte, etwas Nettes über sich zu hören, dann war das jetzt.
    Marley schien sich über meinen plötzlichen Enthusiasmus zu freuen. »Sie ist auch witzig!« Sie nickte mir zu, als hätte ich sie gerade von etwas überzeugt. »Als sie auf der Junior High war, hat sie Saxophon gespielt. Das weißt du bestimmt. Aber sie hat sich über sich selbst lustig gemacht - wahrscheinlich hatte sie oft Ärger mit ihrem Lehrer, weil sie beim Spielen ihre Augen hervortreten ließ!« Marley ahmte einen Saxophonspieler mit hervorquellenden Augen nach.
    Ich erwiderte nichts. Bisher hatte ich nicht gewusst, dass meine Mutter jemals Saxophon gespielt hatte.
    »Sie hat lange hier draußen gewartet«, fügte Marley hinzu. Wieder versuchte sie, über meine Schulter zu spähen. »Hattest du dich verspätet?«
    »Nein.«
    »Hm.« Sie trat zurück und sah mir ins Gesicht. Ich nutzte den Umstand, dass Platz zwischen uns war, um in den Flur zu treten. Meine Mutter hatte genug für ihr Selbstbewusstsein gehört, und für mich war es Zeit zu gehen. Ich drehte mich um, schloss meine Tür und suchte in meiner Tasche nach den Schlüsseln. Konfiguration bezeichnet die dreidimensionale Orientierung von Atomen um ein chirales Zentrum und kann als R oder S bezeichnet werden.
    »Wohnt sie in der Nähe?«
    »Was?« Ich sah über die Schulter. »Ja. In Kansas City.«
    »Oh, hast du ein Glück. Ich wette, du besuchst sie dauernd.«
    Ich musste lachen, ein leises, mich selbst bemitleidendes Glucksen. Ich war mir nicht sicher, ob meine Mutter es gehört hatte. Falls ja, würde sie es - selbst in ihrer momentanen Lage - vielleicht auch komisch finden. Nur Marley begriff den Witz nicht.
    »Ich lache nicht über dich«, setzte ich an, doch als ich wieder aufblickte, ging sie schon lautlos in ihren Hausschuhen den Flur hinunter. Ohne ein weiteres Wort verschwand sie in ihrem Zimmer.
    Das Institut für Anglistik befand sich im hässlichsten Gebäude auf dem Campus. Wescoe Hall war ursprünglich als Parkgarage geplant worden, aber die Universität hatte sich relativ spät in der Planungsphase anders entschieden und beschlossen, dort die Geisteswissenschaften unterzubringen. Es war einfach ein trauriger Anblick. Die Gebäude ringsum waren schön, alle aus Kalk- und Backstein. Viele davon erinnerten an Burgen mit Fahnen, die auf Ziegeldächern flatterten, und hohen Toren mit Spitzbögen. Die Bibliothek für Naturwissenschaften war besonders eindrucksvoll, hoch und luftig und mit viel Glas, das Geschenk eines großzügigen Ehemaligen. Wescoe hingegen war flach, gedrungen und aus grauem Beton. Die beiden unteren Stockwerke lagen im Keller, die oberen Etagen waren okay: Es gab viele Fenster, und die Räume waren groß und hell. Aber wenn man nach unten ging, dorthin, wo die Dozenten ihre Büros hatten, wirkten die Gänge wie Tunnel, die nur von flackernden Neonröhren beleuchtet wurden. Raucher drückten sich an beiden Eingängen herum, und manchmal roch es darin ein bisschen nach Abgasen - als wüsste das Gebäude irgendwie von seiner ursprünglichen Bestimmung und arbeitete immer noch daran, seinen Teil dazu beizutragen.
    Aber während des Gesprächs mit meinem Englischprofessor an diesem Morgen verspürte ich trotzdem den Drang, tief durchzuatmen. Ich war gerade aus der Bibliothek für Naturwissenschaften gekommen, wo ich unter den hohen Decken zwei Stunden damit verbracht hatte, Moleküle anzustarren und zu versuchen, sie im Geist umzukippen, bevor ich direkt am Tisch, unter all dem Glas und bei hellem Licht - mit dem Kopf auf den Oberarmen eingeschlafen war. Als ich aufgewacht war, war Speichel auf meinem Buch, eine Seite klebte an meiner Wange, und ich kam mir in mehr als einer Hinsicht dumm vor.
    Aber jetzt, gleich nebenan, in Wescoes trostlosem Tiefgeschoss, teilte mir mein Englischprofessor gerade mit, dass er sehr beeindruckt von dem Expose war, das ich für meine Semesterarbeit über Thomas Hardys Am grünen Rand der Welt abgegeben hatte. Ich sei die einzige Studentin, die dem Standpunkt, das Ende sei traurig, widersprochen habe, sagte er. Spürbarer Enthusiasmus für das Thema. Ein echtes Talent auf diesem Gebiet. Ich lächelte ihn an und fühlte mich

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