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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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benommen und ein bisschen erwärmt, obwohl es in seinem Büro kalt und mein Haar vom Regen noch feucht und kraus war. Es war eine Weile her, seit mir das letzte Mal jemand gesagt hatte, dass ich irgendetwas gut konnte.
    Er meinte, er sei von jeder Arbeit, die ich in diesem Semester abgegeben hätte, beeindruckt gewesen. Und er dankte mir für die intelligenten Kommentare, die ich zu den Diskussionen während des Unterrichts beigesteuert hatte. Es sei schön, sagte er, so viel ehrliche Begeisterung für den Lehrstoff zu sehen. Dann fragte er mich, ob ich Englisch als Hauptfach hätte und beabsichtige, darin meinen Abschluss zu machen.
    »Nein«, antwortete ich. »Ich will Medizin studieren.«
    Die Worte kamen aus reiner Gewohnheit. Aber als ich sie diesmal aussprach, hatte ich das Gefühl, als kämen sie von außen, nicht aus mir selbst. Mein Blick streifte durch sein Büro. Die Regale waren voller Bücher von Hardy, Keats und Yeats - Bücher, die ich sehr gern gelesen hätte, wenn nur Zeit dazu gewesen wäre. Der Schreibtisch war mit Papieren übersät, und von der Wand hinter ihm starrte mich ein Druck von Virginia Woolfs Gesicht an. An die Wand neben seinem Schreibtisch hatte er mit Tesafilm mehrere Bleistiftzeichnungen von steifen Gestalten mit lächelnden Gesichtern geklebt. »FÜR DADY« stand in krakeliger Schrift auf einer davon.
    »Medizin«, sagte er lächelnd und schob meine Arbeit über den Tisch. »Eine echte Renaissance-Frau, hm? Auf jedem Gebiet gut. Sehr klug, Medizin zu wählen. Damit bekommt man immer einen Job.«
    Ich korrigierte ihn nicht, erklärte ihm nicht, dass ich keine Renaissance-Frau war, die alles konnte - oder dass ich demnächst aus meinem Hauptfach fliegen würde. Stattdessen stand ich nur da und dankte ihm, als es Zeit war zu gehen, mit einer Stimme, die vielleicht ein bisschen zu dankbar und zu laut für ein so kleines Büro war. Bevor ich ging, schaute ich mich noch ein letztes Mal um. Das Einzige, was hier fehlte, waren Pflanzen, und er hätte wahrscheinlich welche gehabt, wenn es ein Fenster gegeben hätte. Aber das, was zählte, war, dass er ein Büro hatte. Er verbrachte seine Zeit damit, das zu tun, was auch ich am liebsten getan hätte, und er wirkte nicht arm. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass er irgendwann gezwungen sein würde, im Studentenwohnheim seines Kindes einzuziehen, um Geld für eine Kaution zu sparen. Vielleicht war es kein Problem, das zu tun, was man wirklich wollte. Vielleicht war es nur ein Problem, meine Mutter zu sein. Ich dachte wehmütig an unsere Hausärztin und all die praktische Hilfe, die sie Menschen hier und auf der anderen Seite der Erdkugel zukommen ließ. Wenn ich mich nicht bald zusammenriss, würde ich nie in der Lage sein, Kinder in Kenia zu impfen - und vielleicht sogar nie etwas ähnlich Nützliches zu tun. Aber vielleicht fand ich ein anderes Gebiet, auf dem ich mich bewähren konnte.
    Ich fühlte mich seltsam beschwingt, als ich die Treppe zum Erdgeschoss hinaufging - sogar in Mantel und Stiefeln und mit meiner Büchertasche über der Schulter. Draußen blieb ich unter einem der vielen Vordächer von Wescoe stehen. Ein Bus kam angefahren, aber ich lief nicht in den Regen hinaus, um ihn noch zu erwischen. Talent auf diesem Gebiet. Ehrlicher Enthusiasmus. Ich starrte in den strömenden Regen und nahm vage zur Kenntnis, dass ich lächelte.
    Ich hätte den Bus nehmen sollen.
    »Veronica von Holten! Was für eine angenehme Überraschung!«
    Jimmy Liff kam mit ausgestreckten Armen über den Innenhof auf mich zu, als wollte er mich umarmen. Als er näher kam - die Arme immer noch ausgestreckt - und es nicht danach aussah, als würde er stehen bleiben, trat ich einen Schritt zurück. Ich vergaß, dass ich auf dem Absatz einer kurzen Treppe stand, geriet ins Wanken und musste mich am Geländer festhalten.
    »Was ist los?« Er stand vor mir und beugte sich ein bisschen nach vorne, sodass sein Gesicht ganz nah an meinem war. »Du hast doch nicht etwa Angst vor mir, oder?«
    Ich warf einen Blick über die Schulter, um nach einem anderen Bus Ausschau zu halten. Ich wollte keine Angst vor ihm haben. Ich sagte mir, dass ich mich nicht vor ihm zu fürchten brauchte. Jeder konnte brüllen, mit Blumentöpfen schmeißen und so lange den Gangster-Rappern auf BET zuschauen, bis er selbst auch den coolen Gang mit den erhobenen Armen und das höhnische Grinsen perfekt draufhatte, und sich die Chicago-Bulls-Mütze tief in die Stirn ziehen. Aber seine

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