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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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will. Eines Tages holte mich die Erzieherin zu einem Gespräch ins Büro.
    »Du hast jetzt einen Vormund, der dich bis zu deiner Volljährigkeit betreut.«
    Sie gab mir die Adresse vom Jugendamt in Lichtenberg, wo ich mich bei einer Frau Karfunkel melden sollte. Ich machte mich gleich auf den Weg und fuhr zum Nöldnerplatz. Die Häuser waren alle verfallen, alles sah schmutzig und grau aus. Ich fürchtete mich vor den Betrunkenen, die aus der Kneipe kamen.
    Hier könnte ich nicht leben, dachte ich. Von einer verschlampten Frau ließ ich mir den Weg zum Jugendamt erklären.
    Das Jugendamt befand sich in einem dieser vergammelten Häuser. In den Fluren saßen und standen viele Leute herum, aus den Zimmern hörte ich laute Worte oder das Leiden von Frauen, die ihre Kinder in Heimen untergebracht haben wollten, weil sie nicht mehr mit ihnen fertig wurden.
    In mir kroch die Angst vor der Beamtin hoch. Hier gab es kein leises, intimes Gespräch. Die Menschen, die hier saßen und auf eine Erlösung von ihren Kindern hofften, stießen mich ab. Mir kam gar nicht der Gedanke, daß es auch noch andere Probleme auf diesem Amt zu klären gab.
    Ich schwor mir; Egal, was passiert, wenn ich mal Kinder habe, stecke ich sie nie in ein Heim.
    Fast zwei Stunden saß ich vor der Tür. Gerade als ich mich entschloß, wieder zu gehen, rief mich eine weibliche Stimme ins Zimmer. Die Frau, die für meine letzten zwei Jahre im Heim verantwortlich sein sollte, war schon älter. Meine Angst verschwand schnell, aber mein Inneres blieb auf Warnsignale eingestellt. Das ging mir bei Erwachsenen immer so, ich wußte instinktiv, woran ich bei ihnen war. Gefährlich waren die besonders freundlichen, bei denen fiel meistens der Standardsatz:
    »Wir wollen doch nur dein Bestes.«
    »Nun«, sagte sie, »mein Name ist Karfunkel, und ich . hoffe, wir verstehen uns gut.«
    Dann redete sie auf mich ein. »Ich denke, mit dir werde ich keinen Ärger haben. Na ja, du bist ja schon eine ganze Weile im Heim.« Mein bisheriges Leben nannte sie »eine Weile«; aber so drückten sich die Erwachsenen eben manchmal aus.
    Ich hörte nicht mehr zu. Im Lauf der Jahre hatte ich gelernt, bei Standpauken meine Ohren auf Durchgang zu schalten. Plötzlich sagte sie:
    »Ich habe hier drei Berufe, die du lernen könntest, allerdings müßtest du dazu nach Dresden in ein Internat gehen.«
    Hatte ich es doch geahnt, weg wollte sie mich haben. Mir schossen vor Wut die Tränen in die Augen. Raus aus Berlin, weit weg von meinen Freundinnen, in einer fremden Stadt, wo ich keinen Menschen kannte, da sollte ich leben.
    »Nein«, schrie ich, »ich lasse mich nicht abschieben!«
    »Aber Kind, keiner will dich abschieben, ich will doch nur dein Bestes«, versuchte sie mich zu beruhigen. Hatte ich es doch gewußt.
    »Komme ich nach der Lehre wieder nach Berlin zurück?« fragte ich.
    »Das kann ich dir nicht versprechen, hier gibt es keine Halbmondteppichweberei.«
    In meiner Verzweiflung sagte ich mutig:
    »Ich bleibe in Berlin, und wenn ich sonstwas lerne.«
    »Ach, Ursula, nun sei doch nicht so trotzig, ich komme dich auch in Dresden besuchen und schreibe dir.«
    Was wußte diese Frau schon von mir. Nichts! Bis vor drei Stunden kannte sie mich nur aus meiner Akte, die vor ihr auf dem Tisch lag. Ihr Besuch hätte mir nichts genützt, sie war mir fremd, sie konnte mir meine Heimfreunde nicht ersetzen. Rein gar nichts war sie für mich, aber hatte trotzdem die Macht, über mein Leben zu entscheiden. Plötzlich verwandelte sich ihr Gesichtsausdruck, sie wirkte müde, alt und erschöpft Mitleidige Augen schauten auf mich, sie stützte ihren Kopf auf die Hand und sagte:
    »Gut, drei Wochen hast du Zeit, dir in Berlin eine Lehrstelle zu suchen.«
    Immer noch heulend, verließ ich das Jugendamt, triumphierte aber innerlich. Zum ersten Mal hatte ich mich einem Erwachsenen gegenüber durchgesetzt. Was wird aus mir? überlegte ich.
    Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, das Heim für immer zu verlassen.
    Am nächsten Tag unterhielt ich mich mit Elke, einem Mädchen aus der Nebengruppe, über mein Problem. Sie hatte einen tollen Einfall. Ihre Oma arbeitete in den Gummiwerken in Weißensee.
    »Dort werden Luftmatratzen hergestellt«, sagte sie. »Vielleicht suchen sie noch Lehrlinge.«
    Gemeinsam fuhren wir zum Arbeitsamt in die Schneeglöckchenstraße. Ich fragte, ob in den Gummiwerken noch eine Lehrstelle frei sei. Eine unpersönlich wirkende Frau schaute in ihre Bücher und sagte:
    »Du

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