Weinen in der Dunkelheit
Angst, daß Peters Freund auch noch abgeholt würde. Erst nachdem wir schon längere Zeit miteinander befreundet waren, schwand ihr Mißtrauen uns gegenüber. Wenn sich die Jungs trafen, ging ich immer seltener mit.
Ich merkte, daß immer öfter Alkohol gekauft wurde und sie sich bei irgendwelcher Musik sinnlos betranken. Der Freund begann oft zu weinen, er mußte seinen Bruder sehr lieben und vermissen. In betrunkenem Zustand wollten sie dann Rache üben. Ich fand das kindisch, hatte aber keinen Einfluß mehr auf sie. Die Sorgen, die sich die Mutter um ihren Sohn machte, verstand ich sehr gut.
Zwei Wochen lang traf ich mich nicht mehr mit Peter. Meine Hoffnung, er würde mich vermissen und nicht mehr so oft zu seinem Freund gehen, erfüllte sich leider nicht. Also machte ich mich eines Tages auf den Weg, um ihn zu suchen. Die Mutter wies mich mit den Worten »Peter war lange nicht hier« unfreundlich an der Tür ab.
Vielleicht wollte er mich nicht mehr treffen. Meine Gedanken gingen in eine andere Richtung. Er wollte jedesmal, wenn wir zusammen waren, mit mir schlafen, aber dazu hatte ich keine Lust. Zum Glück fehlte auch die Gelegenheit Peter sagte immer: »Wenn du mich liebst, dann willst du es auch!«
Bald begannen die ersten Probleme. Ständig nörgelte er an mir herum. Er warf mir vor, ihn nicht zu lieben. Wie sollte ich darauf eine Antwort finden? Die einzige Antwort, die es gab, war die Angst, es könnte weh tun.
Oft genug hatte ich mich auch schon gefragt, ob ich ihn liebte. Wenn er mit dem Schiff unterwegs war, dachte ich nur an ihn. Wie oft hatte ich vergeblich in meiner Ausgangszeit auf ihn gewartet und war traurig gewesen, wenn er nicht kam. Stundenlang konnte ich aus dem Fenster zum S-Bahn-Ausgang auf einen Fleck starren und hoffen, der schwarze Punkt, der sich näherte, sei er. Und war er es wirklich, dann freute ich mich. Aber nur so wie bei jedem guten Freund, den ich zufällig traf.
Eigentlich wollte ich nur nicht allein sein. Im Heim und in der Schule hatten alle Mädchen einen Freund. Und seit ich mit Peter ging, gehörte ich dazu und hatte meine Ruhe vor ihren ewigen Fragen.
Nein, ich liebte ihn nicht. Ich suchte die Liebe, ich wollte geliebt werden. Er war mein Freund, ich vertraute ihm, und das reichte mir. Weshalb gehörte zur Freundschaft das Bett?
Ich wollte mich nicht in einer Enttäuschung verlieren. Mir gefielen seine Einfalle, etwas zu unternehmen, wie tanzen oder ins Kino gehen oder einfach nur reden. Es ist schön, wenn man jemanden hat, mit dem man reden kann. Für mich sah ich keinen Grund, an meiner Beziehung zu ihm etwas zu ändern. So kam, was kommen mußte, wir stritten uns, und er sagte:
»Dann müssen wir uns eben trennen.«
Damit hatte ich nicht gerechnet und ich versprach, mir alles noch einmal genau zu überlegen. Zwischen den Ratschlägen zweier Freundinnen war ich hin und her gerissen. Die eine sagte, Bumsen gehöre dazu, und die andere, selbst noch Jungfer, meinte, es sei Erpressung. Ich entschied mich dann doch für das Bett. Glücklicherweise fanden wir keine Möglichkeit, denn es war Januar und draußen fürchterlich kalt. Und eine Wohnung hatten wir nicht.
Die Verwandten
Mir blieb mein Bruder, der mich an den Wochenenden mit seinem Rennrad besuchte. Wenn er Zeit hatte, unternahmen wir Ausflüge oder sprachen über uns. Eines Tages stand er ganz aufgeregt vor dem Heim und sagte:
»Ich habe eine Adresse unserer Tante in meiner Akte gefunden!«
Als er achtzehn Jahre alt wurde, durfte er seine Heimakte lesen. Darin befand sich die Adresse unserer echten Verwandten, unserer Tante und unseres Onkels. Man hatte sie uns die ganzen Jahre über verschwiegen. Warum?
Mir schlug das Herz bis zum Hals. Die Gedanken rasten nur so durch meinen Kopf. Richtige Verwandte, und niemand hatte sich um uns gekümmert! Mein Bruder sagte mir, daß sie hier in Berlin wohnten. Am Sonnabend wollten wir sie besuchen und nach unserer Mutter fragen.
Was waren das für Leute, die uns allein ließen? Schon jetzt haßte ich sie, gnadenlos, kein freundliches Gefühl wollte ich in mir aufkommen lassen.
Die Nächte bis zum Sonnabend dehnten sich endlos. Ich lag wach und dachte über die Ausreden nach, die sie zu ihrer Entschuldigung vorbringen würden. Manchmal kamen mir die Tränen vor Haß und Wut. Keine fünfzehn Kilometer von unserem Heim entfernt lebten sie und dachten in den fast siebzehn Jahren meines Lebens nicht einmal an uns. Keine Besuche, keine Briefe, nichts. Als ob wir nie
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