Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue
nicht als Engel, aber ich muss sagen, die Sache gefällt mir. Leo, der Schutzengel. Klingt gut. Beatrice hält inne und denkt nach. Der Blick ihrer grünen Augen ist ins Leere gerichtet, sie gleichen verborgenen Wassertiefen, aus denen im nächsten Moment ein antiker Schatz aufsteigt. Ich reiße sie aus ihrer Traumverlorenheit.
»Bist du glücklich, Beatrice?«
Noch immer blickt sie ins Leere und sagt nach einer Pause:
»Ja, bin ich.«
Als ich vom Tagebuch aufsehe, ist sie eingeschlafen. Ich streichle ihr über die Wange, und mir ist, als würde ich ihre Zerbrechlichkeit streicheln. Sie spürt mich nicht. Sie schläft. Eine halbe Stunde sitze ich wortlos neben ihr und betrachte sie. Bei ihrem Anblick tut sich mir etwas Größeres auf, etwas, das mir Angst macht, weil ich es nicht benennen kann. Ich lese noch einmal, was wir geschrieben haben. Diesmal bin ich derjenige, der die Seele eines anderen sichtbar gemacht hat. Beatrices Seele, mit meiner krakeligen, schiefen Schrift … Jede Zeile ist schief. Erst jetzt fällt es mir auf. Ich kann eben nicht auf Weiß schreiben. Es sieht aus, als würden die Worte einen Abhang hinunterkullern und zerbersten …
Dann ist ihre Mutter hereingekommen, und ich bin gegangen. Ihre Mutter gibt mir einen Kuss auf die Stirn, und weil ich nicht weiß, was ich tun soll, umarme ich sie. Die Art, wie sie mir dankt, macht mir klar, dass ich das Richtige getan habe. Seit ich versuche, auch für Beatrice zu leben, gelingt mir ein Haufen richtiger Sachen. Auch das ist Liebe, glaube ich, weil ich danach glücklich bin: Das Geheimnis des Glücks ist ein verliebtes Herz. Heute gehe ich mit Terminator raus: Und wenn ich’s mein ganzes Leben tun muss. Beatrice kann es nicht tun, ich schon. Auch das ist Leben.
Wenn Beatrice ihm schreibt, muss es Gott geben.
I ch verdaddele die Zeit mit NGNs (nie gesendete Nachrichten) auf meinem Handy. Das T9 ist einfach schlauer als ich. Das T9 weiß fünfundsiebzigtausend Wörter, ich höchstens tausend. Das stimmt. Es gibt so viele Wörter, die ich nicht kenne oder die mir nicht einfallen und die mir das T9 vorschlägt. Ich weiß nicht, ob man den Plural von »Datei« mit oder ohne e schreibt, das T9 weiß es. Ich weiß nicht, ob man »Bewusstsein« mit »ß« oder »ss« schreibt, das T9 schon. Ich weiß nicht, ob man »Beschleunigung« mit »ä« oder »e« schreibt. Und wenn ich jemandem »Arschloch« schreiben will, schreibt das T9 »Apparat«, also muss ich mich für ein weniger gemeines Synonym entscheiden und schreibe »Idiot« …
Wer hat das T9 eigentlich erfunden? Was der für Geld damit gescheffelt haben muss. Ich muss auch was erfinden, mit dem sich ’ ne Menge Geld machen lässt. Wenn ich mich ein bisschen mehr reinhängte, würde vielleicht was draus. Vielleicht doch nicht. Aber wenn ich einen Roman schreibe, dann mit T9. Wieso habe ich eigentlich nur bunte Knete im Kopf?
Wie auch immer, ich habe also geschrieben – keine Ahnung wie –, »Lieber Hot«, denn das schlägt das T9 als Erstes vor, wenn man »Gott« eingeben will. »Hot«, finde ich als Spitznamen gar nicht schlecht. Das Wort »Gott« macht mir Angst. Ich schreibe weiter, genau wie ich es bei Beatrice gemacht habe, aber auf dem Handy sind die Zeilen wenigstens gerade: »… Du sagst, Du bist unser Vater, aber Du scheinst es Dir im Himmel ein bisschen zu bequem gemacht zu haben. Ich weiß nicht, wie Du wirklich heißt, und wenn Du nichts dagegen hast, nenne ich Dich Hot, weil das T9 Dich so nennt. Ich kann Deinen Willen nicht akzeptieren, denn das, was Du mit Beatrice machst, ergibt keinen Sinn. Wenn Du allmächtig bist: Rette sie. Wenn Du barmherzig bist: Mach sie gesund. Du hast mir einen Traum ins Herz gepflanzt: Nimm ihn mir nicht weg. Wenn Du mich liebst: Zeig es mir. Oder bist Du zu schwach, um Hot zu sein? Du behauptest, Du seiest das Leben, dabei nimmst Du das Leben. Du sagst, Du seiest die Liebe, dabei machst Du die Liebe unmöglich. Du sagst, Du seiest die Wahrheit, doch die Wahrheit ist, dass ich Dir völlig schnuppe bin und Du den Lauf der Dinge nicht ändern kannst. Kein Wunder, dass niemand an Dich glaubt. Vielleicht bin ich anmaßend, aber ich an Deiner Stelle würde als Erstes Beatrice gesund machen – um das zu kapieren, muss man nicht Hot sein. Amen.«
Während ich schreibe, bekomme ich eine Nachricht und lese sie laut:
»Vergiss nie, dass ich für Dich da bin. Ich hab Dich lieb, auch wenn Du’s nicht verdienst… ;-) S.«
Silvia ist ein Engel und hat
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