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Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Titel: Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro D'Avenia
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rasenden Herzen wieder sehnlichst wünsche …«
    Ich folge den Wellen ihres schwarzen Haares, das sich im Takt der Worte bewegt. Möwenflügel, die sich schwerelos dem Wind hingegeben.
    »… Komm zu mir auch jetzt, und aus schwerer Sorge löse mich / vollende, was zu vollenden mein Gemüt begehrt …«
    Ich betrachte ihre Augen, die mir gegenüber so voller Anteilnahme und Leben sind. Zum zweiten Mal sehe ich nicht nur ihre Augen, sondern sehe tief in sie hinein. Ein Sprung in blaues Meer, ruhig und kühl.
    »Was ist los, Leo?«
    Ich schrecke aus meinem Traum, in den ich ohne es zu merken abgetaucht bin und aus dem ich am liebsten nicht erwacht wäre.
    »Du bist wohl nicht bei der Sache. Wie deine Augen leuchten. Denkst du an Beatrice …? Wir machen mal ’ ne Pause …«
    Ich erwache aus meinem Traum.
    »Nein, nein, mach weiter. Ich höre dir zu.«
    Silvia lächelt verständnisvoll:
    »Na gut, jetzt kommt der Teil, den ich am schönsten finde, der über den roten Apfel. Pass auf: Wie der süße Apfel sich rötet am oberen Aste, / oben am obersten, doch vergessen von pflückenden Händen – / nicht vergaßen sie ihn, nein, konnten nicht dahin langen.«
    Während Silvia vorliest und mit dem Finger unter den griechischen Worten entlangfährt, habe ich zum ersten Mal das Gefühl, diese tote Sprache zu begreifen.
    Ich habe diese Verse auswendig gelernt und sie vor mich hin gesagt, bis die mir unbekannte Morgenröte mich vor Verliebtheit tief errötet ertappt hat. Aber wie kann ich Beatrice betrügen? Wie kann ich je an Silvias Vollkommenheit heranreichen? Und doch war es Beatrice, die mir die Augen geöffnet hat, sie hat mir gezeigt, was ich nicht gesehen habe. Silvia ist ein Zuhause. Silvia ist ein Hafen. Silvia, werde ich dich je erreichen?

D as Blöde am Leben ist, dass es keine Gebrauchsanweisung gibt. Man geht sie Punkt für Punkt durch, und wenn das Handy nicht funktioniert, gibt’s die Garantie. Man bringt es zurück und kriegt ein neues. Nicht so mit dem Leben, wenn’s nicht funktioniert, kriegt man kein neues, man muss das, was man hat, behalten, gebraucht, verdreckt und angeschlagen. Und wenn es nicht funktioniert, vergeht einem der Appetit.
    »Leo, du hast nichts gegessen, ist dir nicht gut?«, fragt mich meine Mutter, der nichts entgeht.
    »Weiß nicht, ich hab keinen Hunger«, antworte ich knapp.
    »Dann bist du verliebt.«
    »Weiß nicht.«
    »Was soll das heißen, ›weiß nicht‹? Entweder du bist es oder du bist es nicht …«
    »Ich bin durcheinander, als hätte ich ein Puzzle aus einer Million Teilchen vor mir und keine Abbildung, an die ich mich halten kann. Ich muss alles allein machen.«
    »Aber so ist das Leben nun mal, Leo. Du musst dir deinen Weg Schritt für Schritt selbst bauen, durch deine Entscheidungen.«
    »Und wenn man sich nicht entscheiden kann?«
    »Dann versuch die Wahrheit herauszufinden, und entscheide dich.«
    »Und was ist die Wahrheit über die Liebe?«
    Meine Mutter sagt nichts. Ich hab’s gewusst, es gibt keine Antwort, keine Anleitung.
    »Die musst du mit deinem Herzen suchen. Die wichtigsten Wahrheiten sind verborgen, aber das heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Sie sind nur schwieriger zu entdecken.«
    »Und was hast du in all den Jahren entdeckt, Mamma?«
    »Dass die Liebe nichts fordert, sie will nur lieben.«
    Ich antworte nicht. Ich nehme mir etwas zu essen, während meine Mutter sich schweigend an den Abwasch macht.
    Das Handy liegt neben meinem Glas auf dem Tisch. Ich greife danach und schicke eine SMS an Silvia:
    »Morgen, also heute um fünf auf der Bank. Ich muss mit dir reden! Es geht um Leben und Tod.«

I ch komme eine halbe Stunde früher, um das, was ich sagen will, auswendig zu lernen. Ein Penner kommt auf mich zu und will etwas von mir, und weil ich drauf und dran bin, Silvia eine Liebeserklärung zu machen, und der Welt gegenüber in Spendierlaune bin, schenke ich ihm einen Euro, nein, zwei.
    »Gott segne dich«, sagt er zu mir.
    Kaum sehe ich sie, begreife ich, dass ich die ganze Zeit über blind gewesen bin. Sie sagt mir, dies sei ein wundervoller Ort und dass jeder so einen Ort haben sollte, um seine Träume zu träumen und seine Geheimnisse zu beichten. Ich lasse sie Platz nehmen wie eine Königin, und während ich auf meinen Fingern herumknete und nach den richtigen Worten suche, sieht sie mich todernst an und redet zuerst.
    »Erst mal will ich dir etwas sagen, Leo.«
    Ich hoffe inständig, dass es das Gleiche ist, dann können wir’s kurz

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