Weiß wie Schnee, rot wie Blut, gruen vor Neid
zusammengetan hatte, erschien mir erstaunlich. Aber Gegensätze zogen sich ja schließlich an.
Ben deutete auf eines von zwei violett glänzenden Meditationskissen, die auf dem Boden lagen. »Setz dich hierhin. Diese Ecke des Raums hat sehr gutes Karma. Du wirst es sofort spüren, sobald du sitzt.«
Ich ließ mich nieder und verknotete meine Beine in den Lotussitz, wie Ben es mir vormachte. Mal sehen, wie lange ich es in dieser ungewohnten Position aushielt!
Neugierig beobachtete ich, wie Ben in aller Seelenruhe ein Räucherstäbchen anzündete und ein Kartenset von seinem Tisch nahm. Nachdem er die Karten gemischt hatte, breitete er sie fächerförmig vor uns auf dem Flickenteppich aus, der auf dem dunklen Holzboden lag. »Jetzt konzentrier dich darauf, was für dich momentan wichtig ist, und zieh mit der linken Hand eine Karte!«
»Wieso mit der linken?«, fragte ich irritiert.
»Weil sie näher am Herzen ist«, antwortete Ben, in seiner Stimme eine gewisse Strenge.
Ich schloss die Augen, fuhr mit der Hand über den Fächer und entschied mich schließlich für:
Neuanfang
»Das Leben verläuft in Rhythmen und Kreisläufen. Auch für dich ist jetzt eine Zeit der Wiedergeburt vorgesehen. Hab keine Angst, Vertrautes loszulassen! Denn das Neue kann erst in dein Leben treten, wenn das Alte sich verabschiedet hat. Bitte deine Engel, den Neuanfang in deinem Leben sicher zu einem Stadium der Reife zu führen.«
Ben las die Karte mit mir zusammen, stand schließlich auf, nahm eine Engelsfigurine aus weißem Porzellan aus der Schublade seines Schreibtisches und stellte sie vor mich.
»Das ist ab sofort dein Schutzengel, ich schenke ihn dir.«
Ich musste schmunzeln, denn so ganz konnte ich mir nicht vorstellen, dass eine kleine Figur mich beschützen sollte. Trotzdem war ich gerührt, dass Ben sich so um mich kümmerte. Ich nahm den Engel also vorsichtig in die Hand und nahm mir fest vor, meine neue Situation zu akzeptieren und mich ihr zu öffnen.
Was blieb mir auch anderes übrig?
19
Spieglein, Spieglein an der Wand
Wer ist die Schönste im ganzen Land?
Die Frau machte es sich in ihrem Seidennegligé und mit einem Glas Champagner auf der Chaiselongue vor ihrem Spiegelkabinett bequem. Auch wenn sie Alkohol sonst mied – heute hatte sie einen Grund zu feiern: Sie war im Casting noch eine Runde weitergekommen und offenbar zudem noch der Liebling von Ayman Pamin, dem strengsten Jury-Mitglied. Der sonst so unerbittlich und finster dreinblickende Dunkelhaarige hatte ganz offensichtlich ein Faible für die Blondine mit der aufregenden Oberweite und dem Schmollmund.
Gut gelaunt und selbstverliebt betrachtete sie ihr Spiegelbild. Die Kette mit dem Granatanhänger stand ihr wirklich gut. Das Herz schmiegte sich sexy in die Kuhle ihres Schlüsselbeins und glitzerte rötlich.
Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
aber Schneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als Ihr!
Verdammt! Was sollte das denn jetzt bedeuten? Wütend sah die Frau den Spiegel an und versuchte, sich nicht von ihm verunsichern zu lassen. Doch der Zweifel nagte an ihr und ließ sie nicht mehr los. Unruhig beschloss sie schließlich, nach einem Anzeichen dafür zu suchen, dass Sarah noch lebte. Sie ging hinauf in das Zimmer der verhassten Stieftochter und betrachtete es. Soweit sie es beurteilen konnte, sah es aus wie immer.
Allerdings musste die Frau zugeben, dass sie sich noch nie besonders für diesen Ort interessiert hatte. Eines wusste sie jedoch gewiss: Sollten auf einmal die Fotos der verstorbenen Mutter fehlen, hatte Gunter versagt.
Die Frau schaute auf das Regalbrett über dem Schreibtisch des Mädchens. Anstelle des antiken Silberrahmens mit dem Bild einer lachenden jungen Frau, der dort sonst gestanden hatte, stand eine Fotografie, die Sarah zusammen mit Philipp zeigte.
Der Spiegel hatte also recht gehabt – das Mädchen war am Leben! Unbändige Wut stieg in ihr auf. Sie würde sich nicht demütigen und herabsetzen lassen. Weder Gunter noch Sarah sollten ungeschoren davonkommen und glauben, dass sie so leicht zu täuschen sei.
Wenn man nicht alles selbst macht,dachte sie grimmig, bemühte sich aber, sich wieder zu entspannen, als ihr einfiel, welche Auswirkung das auf ihr Gesicht hatte.
Ich brauche einen Plan, überlegte sie angestrengt. Wie konnte sie Sarah töten? Eine Schusswaffe kam nicht infrage, denn die war schwer zu besorgen und sie konnte nicht damit umgehen. Vielleicht gab es
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