Weiss
Schicksal, die Anklage, Arbuzows Drohung, Karas Bericht über seine Vergangenheit, die Tatsache, dass sie Paranoid betrogen hatte, die Diagnose der Ärztin,die vielen Menschenleben, die durch die Geschäfte der Menschenhändler zerstört wurden … Das war einfach zu viel, sie fühlte sich so, als würde ihr jeden Moment der Kopf zerspringen.
Sie stieg hinten in das Taxi ein, nannte Jonny Karlssons Adresse, schloss die Augen und sah vor sich Vilmas Foto, das Arbuzow ihr gegeben hatte. Würde Vilma noch ihre Hand auf die der Mutter legen, wenn die auf dem Küchenbrett Gemüse zerschnitt? Kein Mensch war psychisch so stark, dass er all das gleichzeitig bewältigen konnte. Für sie war nur eins wirklich wichtig, sie wollte Vilma finden. Sie würde alles andere verschieben, an nichts anderes denken als an Vilma. Irgendwie musste sie Dimitri Arbuzow zu fassen kriegen, das war das einzige Mittel, Vilma auf die Spur zu kommen, bevor es zu spät sein würde.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte Jonny an seiner Wohnungstür, als Kati Soisalo eintrat. Er aß gerade einen Hamburger aus der Mikrowelle.
»Jetzt muss der höchste Gang eingelegt werden, die Zeit läuft uns davon. Hast du in diesem Material des FSB irgendetwas Interessantes gefunden? Und was hat Ukkola getrieben?« Sie machte einen hektischen und besorgten Eindruck.
»In den Unterlagen des FSB findet sich nichts, was bei der Suche nach Vilma helfen würde, und auch Kara dürfte daran nicht viel Freude haben. Es werden lediglich Krylows Aktivitäten und die Verbrechen von Arbuzows Organisation geschildert. Von Ukkola ist nur zu berichten, dass er eben in der Arrestzelle der Polizei in Vantaa war und Kara provoziert und zur Weißglut gebracht hat.«
»Wir müssen Kontakt zu Arbuzow bekommen«, sagte Kati Soisalo.
Jonny stopfte sich die Reste des Hamburgers in den Mund, leerte sein Colaglas und ging in sein Arbeitszimmer. »Das ist kein Problem, ich kenne schon zwei Handynummern von Arbuzow.Die eine habe ich in den Unterlagen des FSB gefunden und die andere auf Ukkolas Telefon. Was hast du damit vor, willst du ihn zum Mittagessen einladen?«
Kati Soisalo holte sich aus dem Kühlschrank Joghurt, schüttete ihn in ein Glas und setzte sich aufs Sofa. »Ich brauche nur verdammt viel Geld und einen glaubwürdigen Mittelsmann. Und ich weiß, wo ich beides finde.«
***
Leo Kara parkte den Smart in einer Lücke, in die ein normales Auto keinesfalls gepasst hätte, und verdrängte die Erinnerung an das Steakrestaurant in der Punavuorenkatu, in dem seine Familie Anfang der achtziger Jahre samstags oft gegessen hatte. Mit langen Schritten stürmte er die Treppe hinauf zu Paranoids Wohnung.
»Was zum Teufel ist in Lohja eigentlich passiert? Im Radio und Fernsehen wird über nichts anderes mehr geredet«, fragte Kati Soisalo, während sie die Tür öffnete, und Kara verdichtete das Geschehen von Hormajärvi zu einem zweiminütigen Vortrag.
»Die Medien überschlagen sich, da es um Polizistenmord geht«, sagte Paranoid. »Es wurden schon Leute interviewt, die in der Nähe wohnen, alle haben Andeutungen gemacht, dass in dem Feriendorf ein Bordell war. Es ist nur eine Frage der Zeit, dann werden die anderen Feriendörfer auch entdeckt, die Severnaja angemietet hat.«
»Gut so. Jetzt ist Arbuzow gezwungen, sich etwas Neues einfallen zu lassen, wenn er in Finnland weitermachen will. Krylow und Ukkola sind aus dem Spiel, die Drogentransporte sind unterbrochen, und bald ist auch Schluss mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Mädchen in den Feriendörfern«, erklärte Kati Soisalo. »Vermutlich hattest du keine Gelegenheit, die Videos zu suchen, die Ukkola erwähnt hat?«, fragte sie Kara.
Der schüttelte den Kopf. »Manas hat sie mitgenommen.«
»Ukkola hat vorhin eben mit Claes Nyman, dem Leiter der Aufklärungsabteilung der KRP, geredet oder besser gesagt gestritten«, berichtete Paranoid. »Es sieht so aus, als würde Nyman genau wie wir mit Ukkola auf Kriegsfuß stehen. Wollen wir Nyman nicht mitteilen, dass Ukkola in die Geschäfte Krylows und Arbuzows verwickelt ist? Ich könnte Nyman ziemlich viele Daten schicken: Informationen über Telefongespräche und Nachrichten …«
»Eine gute Idee«, sagten Kara und Soisalo wie aus einem Munde.
Plötzlich ging die Badtür auf, und Kara erblickte einen alten Bekannten: Sakke Tirkkonen, Präsident des Bikerclubs MC Black Angels, zog gerade seinen Gürtel straff. Die Wange des hundertachtzehn Kilo schweren ehemaligen
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