Weiss
drückend heiß.
Die Scheibe einzuschlagen kam nicht in Frage, das würden die Nachbarn hören. Kara ging an ein Ende des langen Balkons, dann an das andere und bemerkte ein Fenster, das einen Spalt offen stand. Er stieg auf das Geländer, tastete mit den Händen langsam die raue, verputzte Wand entlang, bis er am Fensterrahmen Halt fand. Es krachte, als er das Fenster aus der Halterung zerrte, er fiel nach vorn und landete in der Fensteröffnung auf dem Bauch. Nachdem er sich hineinmanövriert hatte, blieb er eine Weile auf dem Küchenfußboden liegen und lauschte konzentriert. Nichts.
Kara schloss das Fenster und wartete einen Augenblick, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann ging er in den Flur, öffnete die erste Tür, die er sah, und schaltete im begehbaren Kleiderschrank das Licht an. Die Tür ließ er nur einen Spalt offen, um nicht die ganze Wohnung zu erleuchten. Es war klar, dass hier niemand ständig wohnte, sowohl im Schlafzimmer als auch in der Küche herrschte in den Schränken gähnende Leere. Als er den Schrank im Flur öffnete und ein Scharfschützengewehr der Marke Dragunow und einen leeren Pistolenkoffer aus Aluminium erblickte, wurde sein Verdacht bestätigt. Die Wohnung war das Versteck von Manas.
Kara untersuchte alle Räume, fand aber nichts Interessantes außer einem Laptop auf dem Couchtisch im Wohnzimmer. Er klappte den Deckel hoch, und das Display leuchtete auf, das Gerät befand sich im Stand-by. Das E-Mail-Fach war leer, er klickte den Explorer an und überprüfte, welche Seiten der Benutzer des Geräts zuletzt besucht hatte. Manas war auf den Websites der Universitätsapotheke, des Zolls, der Grenzwacht sowie der Polizei gewesen und, was das Schlimmste war, auch auf der von Kati Soisalos Kanzlei. Unter den »Favoriten« waren nur Links zu Fotos gespeichert. Kara öffnete einen, daraufhin erschien auf dem Display das Bild einer eingeschossigen Industriehalle.
Plötzlich wurde ein Schlüssel in das Sicherheitsschloss der Wohnungstür geschoben. Kara klappte den Computer zu, stürzte in die Küche, nahm den Mörser aus Gusseisen und konnte das Licht gerade noch ausschalten, bevor die Tür aufging und jemand hereinkam und nach dem Lichtschalter tastete. Er verpasste dem Ankömmling mit dem Mörser einen Schlag auf den Kopf, der ihn von den Beinen holte.
Kara schloss die Wohnungstür, schaltete das Licht an, zog die Pistole aus dem Schulterhalfter von Manas, der zu Boden gegangen war, und stürmte ins Bad. Er riss die Wäscheleine, die über der Badewanne hing, herunter und kehrte in den Flur zurück. Es war nicht einfach, Manas auf den Bauch zu drehen. Er fesselte ihn an den Hand- und Fußgelenken, bog die Unterschenkel nach oben und band die Hand- und Fußfesseln zusammen. Ein gut verschnürtes Paket.
Er betrachtete den vor ihm auf dem Boden liegenden Killer, der seinen Freund Ewan Taylor und wahrscheinlich auch seinen Vater erschossen hatte. Grenzenlose Wut überkam ihn und trübte seinen Verstand, er zielte mit der Pistole auf den Kopf des Kirgisen und wollte gerade abdrücken, da schoss ihm das Bild einer Gefängniszelle durch den Kopf. Eine Zelle nach der anderen tauchte vor ihm auf: der Keller in der Fabrikhalle des Royal Park, der Knast der Polizeistation von Brixton, die Zelle des sudanesischen Geheimdienstes in Khartum …
Kara ließ die Waffe sinken. Man würde ihn fassen, wenn er Manas umbrachte: Kati und Paranoid wussten, dass er hierhergefahren war, für einen Mörder würden sie garantiert nicht lügen. Und das wollte er auch nicht.
Er setzte sich an den Laptop und betrachtete die Fotos. Eine hässliche, fensterlose Fabrikhalle und ein asphaltierter Hof inmitten von wunderschönen grünen Wiesen. Er vergrößerte das Bild und versuchte vergeblich wenigstens ein einziges Detail zu finden, mit dem er das Gebäude geographisch einordnenkönnte. In Finnland lag es jedenfalls nicht, da war er sich ganz sicher.
Ein Rascheln war zu hören. Kara schaute vom Computer auf und sah, wie Manas, der sich auf die Seite gedreht hatte, mit den gefesselten Händen nach irgendetwas tastete, das auf dem Fußboden lag. Er rannte zu ihm hin und trat ihm auf die Hand, kurz bevor sie das Klappmesser umschloss. Als Kara seine neunzig Kilo über die Schuhabsätze auf die Handgelenke des Kirgisen drückte, gab der keinen Laut von sich. Dann löschte ein Faustschlag bei Manas das Licht.
Kara schnappte sich das Messer, kehrte an den Computer zurück, überprüfte noch einmal
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