Weiss
Technischen Hochschule studiert?«
»Ich war viele Jahre immatrikuliert. Ungefähr zwanzig Wochen mit jeweils vierzig Stunden habe ich auch zusammengekriegt.«
»Das überrascht mich jetzt etwas.«
»Na ja, ich hab von Anfang an immer mit Motoren gespielt, erst mit Mopeds, dann mit leichten Motorrädern und später mit den großen Schlitten. Mathe und Physik hab ich mit links gemacht. Ich wollte in Otaniemi Maschinentechnik studieren …«
Kati Soisalo ließ ihn nicht ausreden: »Warum hast du das Studium abgebrochen?«
Tirkkonen knurrte irgendetwas. »Wer Mitglied werden will, wird erst in den Club aufgenommen, wenn er eine Straftat begangen hat. Also ein richtiges Ding gedreht hat – Drogen, Gewalt, Raub … Bei mir war es zufällig so, dass ich Schulden eintreiben musste, ich sollte einem Schuldner ordentlich die Fresse polieren. Aber der Kerl stand mit einem Brett in der Hand vor seinem Haus … Ich hab ein Jahr und zehn Monate wegen schwerer Körperverletzung gekriegt und abgesessen. Nach der Zeit im Knast hat mich das Studium nicht mehr sonderlich interessiert, ich hab gedacht, einen Vorbestraften stellt sowieso keiner ein.«
»Eine Haftstrafe unter zwei Jahren wird nach zehn Jahren aus dem Register gelöscht«, sagte Kati Soisalo.
»Der Club hat sich um mich gekümmert, als ich im Kittchen saß, und als ich wieder draußen war, hab ich einen Anteil von den Einkünften des Clubs abgekriegt. Da kommt richtig gutes Geld rüber, das kannst du glauben.«
Als sie an einem Rastplatz vorbeirauschten, sah Kati Soisalo flüchtig ein kleines Mädchen, das sich die Beine vertrat, sofort war sie mit ihren Gedanken wieder bei Vilma. »Was glaubst du, kommen wir zu spät? Arbuzows Helfer haben schon gestern Abend von meinem … Projekt erfahren.«
»Das hängt vermutlich davon ab, wen sie nach Vittorio Venetoschicken. Die Menschenhandelskette ist in ganz Europa aktiv, und wenn sie in Italien jemand haben, der in der Lage ist, deine Tochter wegzubringen, dann könnte es gut sein, dass wir schon zu spät kommen.«
»Gib Gas«, bat Kati Soisalo, obwohl der Tacho 154 anzeigte. Die Landschaft veränderte sich und wurde immer schöner, ländlicher, man sah weniger Häuser und mehr Weingüter. Sie wusste nicht so recht, was sie mehr fürchtete, dass man Vilma schon aus Vittorio Veneto weggeholt hatte oder dass sie ihre Tochter endlich in die Arme schließen konnte.
Das Hotel »Calvi« fand sich mit dem Navi-Gerät schnell, es lag im nördlichen Teil von Vittorio Veneto, direkt am Rande der ältesten Stadtviertel. Im Norden war ein schneebedeckter Berggipfel zu sehen. Sie parkten den Wagen, meldeten sich im Hotel an und trugen ihre Sachen in das romantische Zimmer. Der Balkendecke und dem Dielenfußboden sah man das ehrwürdige Alter an, neben den Fensterrahmen hatte man die Wandziegel sichtbar belassen, und von dem Gemälde über dem Bett schaute ein liebenswürdiger Engel herab. Das Doppelbett mit Sakke Tirkkonen zu teilen war nicht gerade ein verlockender Gedanke, aber Kati Soisalo wusste, dass sie auf dieser Reise erst schlafen würde, wenn sie Vilma gefunden hatte.
»Ich rufe Paranoid an«, sagte Kati Soisalo, schüttete sechs Dokumentenmappen aus ihrer Tasche aufs Bett und ordnete sie nach ihrer Wichtigkeit.
»Wo beginnen wir mit der Suche?«, fragte sie, als Paranoid sich meldete.
»Es gibt im Sommer zehn Vorschulen, fünf kommunale und fünf private, ich habe dir ihre Namen und Adressen als E-Mail geschickt.«
»Irgendwelche Hinweise oder Tipps, mit welcher Einrichtung wir anfangen sollten?« Kati Soisalo breitete den Stadtplan aus, den sie an der Rezeption bekommen hatte.
In der Leitung wurde es für einen Augenblick still. »Also, wenn es mal erlaubt ist, laut zu denken, würde ich sagen, die …
Anschaffung
Vilmas war nicht gerade ein sehr billiges Vergnügen. Man könnte sich vorstellen, dass die Eltern wohlhabend sind, vielleicht haben sie Vilma in eine private Vorschule gegeben.«
»Das heißt?«, drängte Kati Soisalo.
»In der Nähe eures Hotels befinden sich die ›Scuola Materna E. De Mori‹, deren Adresse lautet: Viale Cavour 61, und die ›Scuola Materna San Pio X‹ mit der Adresse Piazza Pieve Di Bigonzo 14. Fangt da an.«
***
Leo Karas Maschine landete 09.15 Uhr mit einer Viertelstunde Verspätung auf dem Londoner Flughafen Heathrow. Diesmal hatte er sich mit Medikamenten ruhiggestellt, er wollte nicht wieder im Traum schreien und bei den anderen Passagieren für Verwirrung sorgen wie
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