Weiss
herangekommen.
Am Eingang der Metrostation schlüpfte Sabrina Pianini mühelos in die Menschenmenge hinein, der zierlichen Frau fiel es leichter, sich zwischen den Leuten hindurchzuschlängeln als dem über zwei Zentner schweren Taras. Hinter ihr waren Rufe zu hören, die lauter wurden. Sabrina Pianini erreichte den zweiten Eingang der Station und warf einen Blick zurück: Taras war es gelungen, für ein Chaos zu sorgen, wütende Menschen umzingelten den Koloss, der vergeblich nach ihr Ausschau hielt.
Sabrina Pianini vergewisserte sich, dass Dr. Rostows Unterlagen in ihrer Hosentasche steckten, und schaute auf die Bahnhofsuhr. Die vom AISI geschickten italienischen Beamten wären in einer halben Stunde im Gorki-Park. Vielleicht konnte sie ihrem Bruder doch noch rechtzeitig helfen.
***
»Vittorio Veneto entstand erst im Jahre 1866, als Serravalle und Ceneda sich vereinigten, aber wir, also wir hier in Serravalle, haben eine tausendjährige Geschichte«, erzählte die Frau an der Rezeption des Hotels Calvi, die eine tolle Frisur hatte.
»Gibt es in Vittorio Veneto einen Autoverleih?«, fragte Kati Soisalo ganz ruhig schon zum dritten Mal. Am liebsten hätte sie gebrüllt. Natürlich war es gut gemeint und freundlich, dass die Hotelbesitzerin von ihrer Heimatstadt erzählte, aber gerade jetzt galt es, keine Sekunde zu verschwenden.
»Serravalle wird bald zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt«, sagte die Frau und schaute die Touristin tadelnd an, die tatsächlich die Frechheit besaß, keinerlei Interesse für die Sehenswürdigkeiten von Serravalle zu zeigen. Dann zeichnete sie endlich mit dem Kugelschreiber auf Soisalos Stadtplan einen Kreis um einen Autoverleih.
Kati Soisalo bedankte sich, nahm die Karte und trat hinaus auf die Via Calvi. Sie hastete im Laufschritt in Richtung der Viale Cavour und der Vorschule E. De Mori, es blieb nicht viel Zeit, in einpaar Stunden ging der Schultag zu Ende. Sakke Tirkkonen würde nach dem Duschen mit dem Auto zur Vorschule San Pio X fahren. Sie musste sich eingestehen, dass dieses kleine Serravalle mit seinen Kirchen, Kanälen und den Gewölbebögen an den Gebäuden wie ein Ort aussah, in dem sie nur allzu gern Urlaub machen würde. Sobald sie Vilma zurückbekommen hatte.
Ihr Handy klingelte, als sie gerade eine schöne, von mittelalterlichen Häusern gesäumte Piazza überquerte.
»Habt ihr … etwas gefunden?«, fragte Kara.
»Wir beginnen erst mit unserer Runde durch die Vorschulen. Deshalb habe ich es jetzt etwas eilig, wir telefonieren später. Oder wolltest du etwas?«
»Jukka Ukkola weiß die ganze Zeit, wo Vilma ist.«
Kati Soisalo blieb mitten auf der Piazza stehen. »Ich bring den Kerl um.«
»Genau das hatte ich befürchtet. Deswegen wollte ich dir das erst erzählen, wenn du etwa zweitausend Kilometer weit weg von Finnland und Ukkola bist. Aber darüber können wir später ausführlicher reden. Du hast jetzt etwas zu tun, das wichtiger … am allerwichtigsten ist.«
»So ist es.« Kati Soisalo beendete das Telefongespräch, und ein abscheulicher Verdacht kam in ihr auf. Ukkola war in die Geschäfte eines Menschenhändlerringes verwickelt und hatte Vilma doch nicht etwa ihrem Schicksal überlassen, um sich und seine kriminellen Kumpane zu schützen. Das würde sie noch herausfinden, die Zeit für die Abrechnung mit Ukkola kam auf jeden Fall.
Die Vorschule E. De Mori befand sich in einem alten Gebäude, in Finnland hätte man es garantiert längst in ein Museum verwandelt. Kati Soisalo sah ein kleines Mädchen in das Gebäude hineinhuschen und erinnerte sich daran, wie sie in Belgrad durchgedreht war und ein wildfremdes Kind für Vilma gehalten hatte. Jetzt musste sie kühlen Kopf bewahren. Sie ging durch den Haupteingang in das Haus, lief die Flure entlang und lauschte, was hinterden Türen geschah. Die lebhaften Kinderstimmen waren gut zu hören; in einem Raum wurde gesungen und in einem anderen wiederholte ein Kinderchor etwas, was der Lehrer vorsang. Als sie hinter sich schnelle, schwere Schritte vernahm, drehte sie sich um und sah zwei Frauen, die zusammen ein Zimmer betraten.
Die temperamentvoll geführte Unterhaltung brach ab, als Kati Soisalo in dem Lehrerzimmer erschien, in dem sich nur drei Menschen befanden, zwei Frauen und ein Mann. Sie holte aus ihrer Schultertasche einen Stapel Fotos von Vilma, Paranoids Kopien der Aufnahme, die Dimitri Arbuzow ihr gegeben hatte.
»Ich suche meine Tochter«, sagte Kati Soisalo und reichte jedem Lehrer ein Foto.
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