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Weiss

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Titel: Weiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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»Geboren 1683, gestorben 1760«, dachte Kara. Der letzte außerhalb von Großbritannien geborene König und der letzte Herrscher, der seine Armee selbst aufs Schlachtfeld führte. Es war das Verdienst der Internatsschule von Winchester, dass er die Liste der englischen Herrscher immer noch auswendig kannte.
    Die Fahrt zum Nightingale-Krankenhaus nahm nur eine Viertelstunde in Anspruch, was im Londoner Verkehr so gut wie nichts war. Kara parkte den Wagen und erinnerte sich dunkel, den Namen der Klinik schon einmal gehört zu haben, als irgendein Promi dort eine Entziehungskur angetreten hatte.
    Das nett und gemütlich eingerichtete Krankenhaus wirkte fast wie ein Hotel. Kara sagte der höflichen Frau am Empfang, er habevorhin angerufen und wolle Lilith Bellamy besuchen. Sie bat ihn, im Foyer Platz zu nehmen und zu warten.
    Bellamys behandelnder Arzt Praveen Sharma traf ein, noch bevor Kara die Sitzgruppe erreicht hatte. Die kohlrabenschwarzen Augen des Mannes indischer Abstammung musterten Kara unruhig. »Lilith Bellamys Erkrankung ist eine paranoide Schizophrenie. Sie leidet unter Verfolgungswahn, Gehörhalluzinationen hat sie kaum.« Sharma redete pausenlos weiter, während er Kara zur Treppe führte.
    »Ihre Wahnvorstellungen sind ungewöhnlich stabil und schon seit Jahren fast unverändert, sie treten sehr oft auf. Man könnte fast sagen, dass Lilith Bellamy ihre Wahnvorstellungen nie los wird, nicht mal für einen Augenblick. Sie ist auf eigenen Wunsch hier und natürlich dank der … Unterstützung ihrer Familie.« Doktor Sharma und Kara erreichten die zweite Etage des Krankenhauses.
    »Ich muss Sie warnen. Ein Patient mit paranoider Schizophrenie kann zuweilen wegen seines Verfolgungswahns aggressiv und geradezu gefährlich werden. Lilith Bellamy hat die Angewohnheit, gelegentlich die … Kontrolle über sich zu verlieren.«
    »Ich auch«, dachte Kara, sagte aber: »Ich möchte nur ein paar Fragen zu einer Forschungsgruppe stellen, an deren Arbeit sie vor über zwanzig Jahren beteiligt war. Das dürfte bei ihr kaum einen Wutanfall auslösen.«
    »Ganz im Gegenteil«, widersprach der Arzt mit einem Ächzen. »Die Wahnvorstellungen von Lilith … Fräulein Bellamy hängen namentlich mit ihrer Arbeit zusammen. Sie hat seinerzeit an irgendwelchen geheimen Projekten der Rüstungsindustrie gearbeitet und in Verbindung damit eine gewaltige, die ganze Welt umfassende Verschwörungstheorie entwickelt. Eigentlich ist das eine äußerst geniale Konstruktion.«
    Praveen Sharma blieb vor einer geschlossenen Tür stehen und sah nun noch besorgter aus. »Vielleicht sollte ich doch mit hineinkommen. Sicherheitshalber.«
    Kara fand, dass der Arzt ihn behandelte wie den ersten Freund seiner Tochter im Teenageralter. »Es tut mir leid, aber die Angelegenheit ist ein wenig … heikel.«
    »Seien Sie vorsichtig«, mahnte Praveen Sharma, klopfte an und öffnete die Tür, als er eine schwache Stimme hörte.
    »Lilith, dein Besucher ist da«, sagte er, schaute Kara grimmig an wie einen Kriminellen und ging zur Treppe.
    Kara kam es so vor, als wäre er in ein Hotelzimmer getreten. Lilith Bellamys Bett hatte sie garantiert nicht selbst gemacht, persönliche Gegenstände sah man nur wenige.
    »Ich bin Leo Kara vom UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, ich möchte mich mit Ihnen über eine Forschungsgruppe unterhalten, deren Mitglied Sie vor langer Zeit waren. Um genau zu sein, von 1984 bis 1989. Der Name der Gruppe lautete angeblich ›Piloto Mayor‹«, erklärte er und nahm im Sessel Platz, gegenüber von Lilith Bellamy, die steif auf der Bettkante saß. Die Frau war verblüffend schön. Nicht wie ein Model oder ein Filmstar, sondern wie eine Skulptur oder ein Porzellangegenstand. Bellamy sah zerbrechlich aus, sie war klein, blond und blass, ihre Finger erinnerten an die Hände einer Puppe.
    »Du bist einer von denen«, sagte Lilith Bellamy.
    »Von denen? Wer sind die?«
    »Tu nicht so, als wüsstest du das nicht.«
    Kara wurde klar, dass er irgendwie Zugang zu Lilith Bellamys Welt finden musste. Es machte ihn wütend, dass er nicht imstande gewesen war, sich besser auf dieses Treffen vorzubereiten. »Ich bin nicht einer von denen, ich bin eines ihrer Opfer.«
    Lilith Bellamy zog die Brauen ein paar Millimeter hoch. »Was haben die mit dir gemacht?«
    »Sie haben meine Familie umgebracht. Mein Vater war Aleksi Kara, der Leiter der Forschungsgruppe im Park Royal, in der auch du gearbeitet …«
    Kara brach mitten im Satz

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